Jahresarchiv 9. Oktober 2017

Beschwerdeverfahren

Quelle: 09.10.2017 · IWW-Abrufnummer 196961

Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 03.08.2017 – 2 Wx 149/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln

2 Wx 149/17 2 Wx 169/17

Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgerichts – Euskirchen vom 12.05.2017, 3 VI 828/15, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beteiligten zu 3) und 4) zu tragen.

1

Gründe:

2

I.

3

Am 13.08.2015 ist Herr T (Erblasser) verstorben. Er war ledig und hatte keine Kinder. Seine Eltern sind vorverstorben. Die Beteiligten zu 3) und 4) sind die Schwestern des Erblassers, die Beteiligten zu 1) und 2) ehemalige Nachbarn, die mit dem Erblasser befreundet waren und ihn im Haushalt unterstützt haben.

4

Im Mai 2015 wurde festgestellt, dass der Erblasser an einem metastierenden Bronchialkarzinom litt. Kurz nach der Diagnose traten Lähmungen auf, u.a. am rechten Arm.

5

Am 11.08.2015 ist beim Nachlassgericht per Einschreiben/Rückschein ein handgeschriebenes mit „Testament“ überschriebenes und mit „T“ unterschriebenes auf den 15.07.2017 datiertes Schriftstück eingegangen, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 4 d. Beiakte 3 IV 793/15). Am 17.08.2015 hat die Beteiligte zu 2) beim Nachlassgericht ein weiteres handgeschriebenes mit „Testament“ überschriebenes und mit „T“ unterschriebenes auf den 15.06.2015 datiertes Schriftstück eingereicht, auf dessen Inhalt ebenfalls Bezug genommen wird (Bl. 6 d. Beiakte 3 IV 793/15).

6

Am 02.09.2015 haben die Beteiligten zu 1) und 2) zur Niederschrift des Nachlassgerichts die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Miterben zu je ½-Anteil ausweist (Bl. 1 ff. d.A.). Sie haben vorgetragen, dass das Testament vom 15.06.2015 wirksam sei. Es sei vom Erblasser, der Rechtshänder gewesen sei, infolge der krankheitsbedingten Lähmung der rechten Hand eigenhändig mit der linken Hand geschrieben worden. Durch dieses Testament seien sie als gemeinsame Erben eingesetzt worden. Er habe ihnen mitgeteilt, wo dieses Testament zu finden sei. Das Testament vom 15.07.2015 könne nicht vom Erblasser herrühren, da er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage gewesen sei, ein Schriftstück in flüssiger Handschrift zu errichten.

7

Am 02.09.2015 hat die Beteiligte zu 4) zur Niederschrift des Nachlassgerichts die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie und die Beteiligte zu 3) als Miterben zu je ½-Anteil aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausweist (Bl. 22 ff. d.A.). Sie haben vorgetragen, dass beide Testamente nicht vom Erblasser herrühren würden, sondern gefälscht seien.

8

Das Nachlassgericht hat Beweis erhoben aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 11.11.2015 (Bl. 64 f. d.A.) und 20.04.2016 (Bl. 127 f. d.A.) durch Vernehmung des Zeugen T2 und die Einholung eines graphologischen Gutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 25.01.2016 (Bl. 78 ff. d.A.) und auf das Gutachten der Sachverständigen T3 vom 24.02.2017 (Bl. 183 ff. d.A.). Weiterhin hat das Nachlassgericht schriftliche Stellungnahmen der Hausärztin des Erblassers Q vom 14.02.2016 (Bl. 88 ff. d.A.), des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein vom 10.02.2016 (Bl. 87 d.A.) sowie der Hausärztin des Erblassers Dr. G vom 18.02.2016 (Bl. 99 d.A.) eingeholt.

9

Durch Beschluss vom 12.05.2017 hat das Nachlassgericht die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 1) und 2) erforderlich sind, für festgestellt erachtet und den Antrag der Beteiligten zu 4) zurückgewiesen (Bl. 239 ff. d.A.). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Testament vom 15.06.2015 vom Erblasser eigenhändig errichtet worden sei, und sich hierbei im Wesentlichen auf die Aussage des Zeugen T2 gestützt, der ausgesagt habe, bei der Errichtung dieses Testaments zugegen gewesen zu sein und dies durch seine Unterschrift bestätigt habe. Die Auslegung dieses Testaments ergebe, dass die Beteiligten zu 1) und 2) die Erben des Erblassers seien. Die gesetzliche Erbfolge greife daher nicht. Das Testament vom 15.06.2015 sei auch nicht durch ein späteres Testament widerrufen worden, da das Testament vom 15.07.2015 nicht vom Erblasser errichtet worden sei. Bezüglich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses vom 12.05.2017 verwiesen.

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Gegen diesen den Beteiligten zu 3) und 4) am 22.05.2017 zugestellten Beschluss haben sie mit am 30.05.2017 beim Amtsgericht Euskirchen eingegangenem Schriftsatz vom 29.05.2017 Beschwerde eingelegt (Bl. 248 d.A.), die sie mit Schriftsatz vom 06.06.2017 begründet haben (Bl. 249 ff. d.A.). Sie haben vorgetragen, dass bezüglich der Aussage des Zeugen T2 Zweifel bestünden. Er habe den Inhalt des Testaments nicht richtig wiedergeben können. Es sei nach Vorhalt des tatsächlichen Inhalts des Testaments sichtlich irritiert gewesen. Er habe zudem fälschlicherweise erklärt, dass der Erblasser seinen Neffen zum Erben eingesetzt habe. Dabei habe der Zeuge gewusst, dass der einzige Neffe des Erblassers der Zeuge T4 gewesen sei, der in dem Testament aber nicht bedacht worden sei. Der Beteiligte zu 1) sei dagegen kein Neffe des Erblassers, was der Zeuge T2 gewusst habe. Zudem habe der Zeuge T2 unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung vom 25.01.2016 selbst begründete Zweifel daran geäußert, dass das ihm vom Gericht vorgelegte Testament nicht jenes Testament gewesen sei, das der Erblasser in seinem Beisein aufgesetzt habe. Es sei daher von einer Fälschung auszugehen. Hierfür spreche auch die Einschätzung des von ihnen, den Beteiligten zu 3) und 4), beauftragten Sachverständigen T5, wonach es nicht vorstellbar sei, dass das Testament vom 15.06.2015 mit einer schreibungewohnten linken Hand geschrieben worden sei. Bezüglich der weiteren Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 06.06.2017 Bezug genommen (Bl. 249 ff. d.A.).

11

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde durch den am 19.06.2017 erlassenen Beschluss vom 13.06.2017 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Köln zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 265 ff. d.A.).

12

Der Senat hat in der nicht öffentlichen Sitzung vom 26.07.2017 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen T2 und T4

13

II.

14

Die zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) hat in der Sache keinen Erfolg.

15

Das Nachlassgericht hat die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 1) und 2) erforderlich sind, zu Recht für festgestellt erachtet und den Antrag der Beteiligten zu 3) zurückgewiesen. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Nachlassgerichts in dem angefochtenen Beschluss vom 12.05.2017, wonach die Erbfolge auf dem Testament vom 15.06.2015 beruht, vollumfänglich an. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Einwände gegen den angefochtenen Beschluss greifen nicht durch.

16

Das Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat hat die Feststellungen des Nachlassgerichts in dem angefochtenen Beschluss vom 12.05.2017 bestätigt. Der Zeuge T2 hat während seiner Vernehmung vor dem Senat seine Aussage vor dem Nachlassgericht wiederholt, wonach der Erblasser das in der Akte befindliche auf den 15.06.2015 datierte Testament persönlich mit der schreibungewohnten linken Hand geschrieben und er, der Zeuge T2, dies mit seinem handschriftlichen Zusatz und seiner Unterschrift auf diesem Testament bestätigt habe. Auf Vorhalt hat er erklärt, dass er das Testament und seine Unterschrift wiedererkenne. Die Aussage des Zeugen T2 vor dem Senat war glaubhaft, in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Insbesondere ergaben sich keine Widersprüche zu seiner früheren Aussage vor dem Nachlassgericht. Der Zeuge ist glaubwürdig. Ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens ist nicht ersichtlich.

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Die Einwände der Beteiligten zu 3) und 4) gegen die Richtigkeit der Aussage des Zeugen T2 greifen nicht durch. So hat der Zeuge T2 die Behauptung der Beteiligten zu 3) und 4), er habe nach seiner ersten Vernehmung vor dem Nachlassgericht in einem Gespräch mit dem Zeugen T4 diesem gegenüber begründete Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussage geäußert, nicht bestätigt. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Zeuge T4 ausgesagt hat, dass in dem gemeinsamen Gespräch nach Vernehmung des Zeugen T2 durch das Nachlassgericht über die Frage einer möglichen Fälschung spekuliert worden sei und der Zeuge T2 die Möglichkeit einer Fälschung nicht völlig ausgeschlossen habe. Selbst wenn dies zuträfe – der Zeuge T2 hat insoweit bestätigt, dass in dem gemeinsamen Gespräch über eine etwaige Fälschung spekuliert worden sei – kann dies zu nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass es sich zum einen um ein privates unverbindliches Gespräch zwischen den beiden Zeugen T2 und T4 handelte und zum anderen um bloße Spekulationen. Hierauf kommt es aber auch deshalb nicht an, weil niemand absolut sicher sein kann, eine sehr gute Fälschung der eigenen Schrift und Unterschrift auch als Fälschung zu erkennen, wenn er ein vergleichbares Dokument tatsächlich gefertigt hätte und zwischenzeitlich eine geraume Zeit vergangen wäre. Sofern sich der Zeuge T2 gegenüber dem Zeugen T4 in diesem Sinne geäußert haben sollte, steht dies der Glaubhaftigkeit seiner – übereinstimmenden – Aussagen vor dem Nachlassgericht und dem Senat nicht entgegen, wonach er davon ausgehe, dass das ihm vorgehaltene Testament das vom Erblasser errichtete und von ihm, dem Zeugen T2, mitunterzeichnete Testament sei. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass – wovon sich der Senat im Beweistermin am 26.07.2017 überzeugt hat – die Unterschriften des Zeugen T2 auf dem in der Akte befindlichen Testament und auf seinem Personalausweis in auffallender Weise übereinstimmen und auch keine – stichhaltigen – Anhaltspunkte für eine Fälschung gegeben sind. Denn die Behauptung der Beschwerdeführerinnen, es müsse sich bei dem Testament vom 15.06.2015 um eine Fälschung handeln, erfolgt offenbar „ins Blaue“ hinein.

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Mit ihren sonstigen Einwänden gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen T2 dringen die Beteiligten zu 3) und 4) aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses des Nachlassgerichts vom 12.05.2017 ebenfalls nicht durch. Der Zeuge T2 hatte schon bei seiner Vernehmung durch das Nachlassgericht klargestellt, dass ihn der Inhalt des Testaments nicht weiter interessiert habe. Er habe das Testament „überflogen“ und – zu diesem Zeitpunkt – für überflüssig gehalten („Blödsinn“). Er habe den Erblasser zwar für krank, nicht aber für schwerkrank gehalten. Er sei im Hinblick auf die Lähmungen von den Folgen eines Schlaganfalls, nicht aber von einer Tumorerkrankung ausgegangen. Ausgehend von dieser nachvollziehbaren Schilderung des Zeugen T2 liegt es nahe, dass er sich an Einzelheiten des Testaments nicht mehr genau erinnern konnte. Dass sich der Zeuge dagegen sehr gut an das Schriftbild erinnern konnte, ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen nicht merkwürdig, sondern im Hinblick auf die Auffälligkeit der Schrift plausibel.

19

Auch die Ausführungen der Beteiligten zu 3) und 4) zum Inhalt der Aussage des Zeugen T2 in Bezug auf die vermeintliche Erbeinsetzung eines Neffen greifen nicht durch. Der Zeuge T2 hat nachvollziehbar ausgeführt, dass er nicht gewusst habe, dass der Zeuge T4 ein Neffe des Erblassers sei, nicht dagegen der namentlich erwähnte Beteiligte zu 1). Der Aussage des Zeugen T4 konnte im Übrigen nicht entnommen werden, warum diese Angaben des Zeugen T2 unzutreffend sein sollten.

20

Im Ergebnis ist daher unerheblich, dass das Nachlassgericht auf das neue Vorbringen der Beteiligten zu 3) und 4) in ihrer Beschwerdebegründung im Abhilfeverfahren verfahrensfehlerhaft den Zeugen T2 nicht erneut und den Zeugen T4 gar nicht vernommen hat. Denn der Senat hat die notwendigen Feststellungen nachgeholt.

21

Weiterhin erschließt sich nicht, warum es auf das Testament vom 15.07.2015 ankommen soll. Es konnte nicht aufgeklärt werden, wer dieses Testament errichtet und an das Nachlassgericht geschickt hat. Vom Erblasser stammt es nach den zutreffenden Feststellungen des Nachlassgerichts, denen sich der Senat anschließt, jedenfalls nicht. Dafür, dass die Beteiligten zu 1) und 2) für die Einreichung dieses Testaments verantwortlich sein sollen, gibt es keinen Anhaltspunkt.

22

Auch das von den Beteiligten zu 3) und 4) zur Akte gereichte Privatgutachten eines Herrn Gerhard T5 führt zu keiner anderen Beurteilung. Seine Ausführungen, es sei kaum vorstellbar, dass dieses Testament mit einer schreibungewohnten Hand gefertigt worden sein soll, weil das Schriftbild dann wesentlich unregelmäßiger aussehen müsste, ist ebenso wenig nachvollziehbar, wie seine Erklärung, es deute nichts darauf hin, dass das Schriftbild mit einer nicht zittrigen Hand erzeugt worden ist. Denn selbstverständlich können viele Menschen mit ihrer schreibungewohnten Hand ein regelmäßiges Schriftbild erzeugen und mit einer nicht zitternden Hand ein dem Schriftbild des Testaments vom 15.06.2015 vergleichbares Schriftbild erzeugen. Dementsprechend werden diese Aussagen des Privatgutachters auch nicht erläutert. Zudem widersprechen seine Feststellungen auch den überzeugenden Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen T3, die von einem „non liquet“ ausgeht, d.h. die Erstellung des Testaments durch den Erblasser für möglich, aber nicht für bewiesen hält. Dem schließt sich der Privatgutachter letztlich auch an, weil er – im Widerspruch zu seinen vorstehenden Ausführungen – im Ergebnis doch zu dem Schluss kommt, dass das Testament vom 15.06.2015 vom Erblasser stammen könnte, dies aber mangels geeignetem Vergleichsmaterial nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne.

23

Die weiteren Ausführungen der Beschwerdeführerinnen zu „sonstigen Begleitumständen“ sind unerheblich.

24

III.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

26

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gem. § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.

27

Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens: 300.000,00 €

28

(geschätzt nach den Angaben des Nachlasspflegers zum Immobilien- und Bankvermögen des Erblassers)

Pflegeversicherung muss Leihgebühr für Pflegebett übernehmen

Sozialgericht Detmold: Urteil vom 28.09.2017 – S 18 P 121/16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Detmold

S 18 P 121/16

Tenor:

Der Bescheid vom 3.6.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.10.2016 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt dem Kläger Kosten von 480,00 Euro für das leihweise beschaffte Pflegebett zu erstatten. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

1

Tatbestand:

2

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Kostenerstattung für ein leihweise beschafftes Pflegebett in Höhe von insgesamt 480,00 Euro.

3

Der 1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Beim Kläger ist jedenfalls seit März 2012 die Voraussetzung der Pflegestufe 2 anerkannt und ihm wurden von der Beklagten entsprechende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) gewährt. Im Rahmen einer Begutachtung durch den MDK am 13.07.2015 wurde das Vorliegen der Voraussetzungen der Pflegestufe 2 bestätigt. Hierbei wurde ein Grundpflegebedarf von 133 Minuten täglich ermittelt. Im Rahmen des Gutachtens wurde insbesondere festgestellt, dass die Fortbewegung des Klägers in der Wohnung mit personeller Hilfe erfolge. Nachts werde der Kläger 2 x mit personeller Hilfe gelagert. Ein nächtlicher Hilfebedarf bestehe in der Regel 1 x pro Nacht beim Lagern. Hinsichtlich der häuslichen Situation des Klägers stellte das MDK-Gutachten fest, dass Schlafzimmer und Badezimmer im Obergeschoss des bewohnten Einfamilienhauses liegen, welches über eine gewendelte Treppe erreicht werden könnte. Für die Überwindung der Treppe stünde dem Kläger die Hilfe eines Treppenliftes zur Verfügung. Ausweislich des MDK-Gutachtens lagen folgende pflegebegründende Diagnosen beim Kläger vor: Minderbelastbarkeit bei Zustand nach Lebertransplantation im März 2009, Gangstörung bei spastischer Paraparese, schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule.

4

Ausweislich des Verwaltungsvorganges der Beklagten wurde der Kläger jedenfalls seit Anfang 2016 mit einem Einlegerahmen als Hilfsmittel für das Bett versorgt.

5

Am 14.05.2016 stürzte der Kläger während er sich mit seinem Rollator fortbewegte und verdrehte sich hierbei den rechten Fuß. Im Rahmen einer stationären Behandlung im B Krankenhaus I wurde u.a. eine Fraktur des rechten Sprunggelenkes diagnostiziert. Diese wurde operativ behandelt und der Kläger am 24.05.2016 aus der stationären Behandlung entlassen. Dem Kläger wurde durch das Krankenhaus am 18.05.2016 eine Hilfsmittelverordnung für ein Pflegebett zum Übergang als Zweitversorgung für das Erdgeschoss ausgestellt. Dies wurde damit begründet, dass der Kläger aufgrund der Sprunggelenksfraktur nicht wie bisher in das Obergeschoss gelangen könnte. Ausweislich der abgehefteten Kopie der Hilfsmittel- Verordnung im Verwaltungsvorgang der Beklagten ging diese Hilfsmittel-Verordnung am 19.05.2016 bei der Beklagten ein.

6

Der Kläger beschaffte sich ab dem 23.05.2016 leihweise ein Pflegebett über ein Sanitätshaus in I.

7

Mit Bescheid vom 03.06.2016 lehnte die Beklagte die Übernahme für das beantragte Hilfsmittel ab. Dies wurde damit begründet, dass Hilfsmittel nur in einfacher Stückzahl gewährt werden könnten und der Kläger bereits mit einem Einlegerahmen versorgt ist. Eine erneute Versorgung komme erst in Betracht, wenn das vorhandene Hilfsmittel aufgrund technischer Mängel nicht mehr genutzt werden könne und eine Gewährleistung des Lieferanten ausgeschlossen sei. Eine Doppel- oder Mehrfachausstattung sei unwirtschaftlich und stelle daher keine Leistung der Beklagten dar.

8

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21.06.2016 Widerspruch. Diesen begründete er damit, dass es sich um keine Doppelausstattung handele. Der vorhandene Einlegerahmen trage eine andere Hilfsmittelnummer als das Pflegebett. Bereits daher handele es sich um zwei verschiedene Versorgungen. Auch werde das Pflegebett nur vorübergehend benötigt bis nach Ausheilen der Sprunggelenksfraktur wieder der Treppenlift und damit das Ehebett mit Einlegerahmen im Obergeschoss genutzt werden könne. Es sei nicht möglich, den Einlegerahmen im für ihn derzeit ausschließlich zugänglichen Erdgeschoss ohne Bettgestellt zu nutzen, insofern sei das Pflegebett zwingend notwendig. Auch sei diese Versorgung kostengünstiger als eine mögliche Kurzzeitpflege, die ansonsten in Anspruch genommen werden müsste.

9

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2016 wies die Beklagte den erhobenen Widerspruch als unbegründet. Hierzu bezog sich die Beklagte auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 07.10.2010 (B 3 KR 13/09 R) wonach für die Notwendigkeit eines Hilfsmittels nicht auf die individuellen Wohnverhältnisse abzustellen sei, sondern auf den allgemeinen Wohnstandard. Das Wohnen über mehrere Etagen zähle nicht zum allgemeinen Wohnstandard, so dass daraus folge, dass hieraus auch keine zusätzliche Versorgung mit einem Hilfsmittel abzuleiten sei aufgrund des Wohnens über mehrere Etagen. Entsprechend seien für eine Zweitausstattung zur Nutzung im Erdgeschoss keine Kosten zu übernehmen.

10

Hiergegen hat der Kläger am 20.10.2016 Klage erhoben. Das geliehene Pflegebett hatte der Kläger bereits ab dem 17.10.2016 an das Sanitätshaus zurückgegeben. Dieses hat dem Kläger für die Dauer der leihweisen Zurverfügungstellung des Pflegebettes einen Betrag von 480,00 Euro in Rechnung gestellt.

11

Der Kläger ist der Ansicht, dass er einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die leihweise Beschaffung des Pflegebettes habe. Er habe die Versorgung mit dem entsprechenden Pflegebett rechtzeitig beantragt. Das Bett sei vor der Entlassung, nämlich am 23.05.2016, geliefert worden. Eine Entscheidung der Beklagten habe nicht abgewartet werden können, um die Entlassung nicht weiter zu verzögern. Die Bereitstellung eines Pflegebettes falle vorliegend in den Bereich der Leistungspflicht der Beklagten. Aufgrund des Sprunggelenkbruches sei er vorübergehend nicht in der Lage gewesen, den Treppenlift zu nutzen, um damit das Ehebett im Obergeschoss, welches mit dem Einlegerahmen ausgestattet war, zu erreichen. Daher musste er sich für seine Lebensführung auf das Erdgeschoss beschränken, entsprechend war er auf ein Pflegebett im Erdgeschoss angewiesen. Nach Ausheilung des Bruches konnte das geliehene Bett zurückgegeben werden. Er sei auch in der gesamten Zeit auf die Versorgung mit einem Pflegebett angewiesen gewesen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich jedenfalls aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V, diese Vorschrift finde auch im Bereich der sozialen Pflegeversicherung Anwendung. Vorliegend habe die Beklagte eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht. Die Kostenübernahme sei bereits am 18.05.2016 beantragt worden. Das Pflegebett sei erforderlich gewesen, um die Entlassung in die Häuslichkeit zu ermöglichen. Ein weiteres Abwarten einer möglichen Entscheidung der Beklagten war daher nicht möglich aufgrund der damit verbundenen Verzögerung der Entlassung.

12

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

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die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 03.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 die Kosten für das leihweise angeschaffte Pflegebett in Höhe von 480,00 Euro zu erstatten.

14

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

15

die Klage abzuweisen.

16

Sie ist der Ansicht, dass die angefochtene Entscheidung rechtmäßig sei. Hierzu verweist sie auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Die ablehnende Ent¬scheidung sei auch nicht kausal für das Entstehen der Mietkosten gewesen. Auch sei grundsätzlich nach § 40 SGB XI das Sachleistungsprinzip zu berücksichtigen. Insofern sei die Möglichkeit einer Privatversorgung mit nachfolgender Kostenerstattung ausge¬schlossen.

17

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 17.08.2017 haben die Beteiligten übereinstimmend jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

18

Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten.

19

Entscheidungsgründe:

20

Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgrund des erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

21

Die zulässige Klage ist begründet.

22

Der Bescheid der Beklagten 03.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt dem Kläger die Kosten für das leihweise selbstbeschaffte Pflegebett von 480,00 Euro zu erstatten.

23

Gem. § 13 Abs. 3 SGB V besteht ein Kostenerstattungsanspruch bei selbstbeschafften Hilfsmittel im Recht der Krankenversicherung. Diese Vorschrift ist im Bereich der sozialen Pflegeversicherung analog anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.2017, B 3 P 4/16 R und BSG, Urteil vom 30.10.2001, B 3 KR 2/01 R). Voraussetzung des Kostenerstattungsanspruches aus § 13 Abs. 3 SGB V ist, dass eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht wird oder der Leistungsträger eine Leistung zu Unrecht ablehnt und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. In diesem Fall sind diese Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

24

Bei der beantragten Versorgung mit einem Pflegebett handelte es sich um eine Leistung im Sinn von § 40 Abs. 1 SGB XI. Gem. § 40 Abs. 1 SGB XI besteht bei Pflegebedürftigen grundsätzlich ein Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder dem Pflegebedürftigen eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind

25

Die Notwendigkeit der grundsätzlichen Versorgung mit einem Pflegebett bzw. einem Einlegerahmen für das vorhandene Ehebett im Obergeschoss war im Fall des Klägers unstreitig, da bisher bereits eine Versorgung mit einem Einlegerahmen für das (Ehe)-Bett erfolgte. Die geltend gemachte Versorgung mit einem Pflegebett war auch nicht aufgrund eine doppelten Versorgung ausgeschlossen. Denn das Pflegebett wurde verordnet, da der Kläger vorübergehend das bestehende Bett mit Einlegerahmen nicht nutzen konnte. Insofern hätte die Beklagte den Rahmen für das Bett im Obergeschoss auch abholen können und gegen das Pflegebett fürs Erdgeschoss tauschen. Weiter greift auch der Einwand der Beklagten unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 07.10.2010 (B 3 KR 13/09 R) bereits aus tatbestandlichen Gründe nicht durch. Denn der Kläger benötigte das Pflegebett nicht aufgrund einer Besonderheit seines individuellen Wohnumfeldes. Das Erfordernis lag allein in der pflegerischen Situation des Klägers begründet. Entsprechend war der Kläger auch zuvor mit einem Einlegerahmen als Hilfsmittel versorgt worden, welches in Folge der Sprunggelenksfraktur vorübergehend nicht mehr nutzbar war.

26

Eine Ablehnung zu Unrecht im Sinn der Vorschrift erfordert, dass die Ablehnungsentscheidung ergeht und danach die Selbstbeschaffung des Hilfsmittels erfolgt. Dies war hier nicht der Fall. Denn die Beschaffung erfolgte bereits vor der Ablehnungsentscheidung.

27

Jedoch lag eine unaufschiebbare Leistung vor. Eine Leistung ist unaufschiebbar im Sinne der Regelung im Bereich der Leistungen nach dem SGB V, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand. Im Rahmen der analogen Anwendung von § 13 Abs. 3 SGB V im Bereich des Pflegeversicherung muss die Unaufschiebbarkeit so verstanden werden, dass die Leistung so dringend ist, dass unter Berücksichtigung des Pflegebedarfs keine Möglichkeit des zeitlichen Aufschubes bestand. Ohne ein Pflegebett hätte der Kläger sich nicht in sein Haus und die häusliche Pflege zurück begeben können. Ein weiterer Aufenthalt im Krankenhaus (ggf. bis zur Entscheidung der Pflegeversicherung über den Antrag) scheiterte daran, dass das Krankenhaus den Kläger über das erforderliche Maß hinaus nicht stationäre weiter behandeln durfte. Die Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung ist davon abhängig, dass die Behandlung primär dazu dient, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und dass gerade bezogen auf eines dieser Behandlungsziele die besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich sind (BSG, Urteil vom 16.02.2005, B 1 KR 18/03 R). Das bloße Erfordernis von Pflegemaßnahmen ohne therapeutischen Zweck bzw. ohne das Erfordernis des besonderen Mittel eines Krankenhauses für die Behandlung machen eine Krankenhausbehandlung nicht erforderlich im Sinn von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V (vgl. Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 39 SGB V, Rn. 60 m.w.N.).

28

Entsprechend besteht der Kostenerstattungsanspruch in voller Höhe von 480,00 Euro, da ein Zuwarten auf eine Entscheidung der Beklagten nicht weiter möglich war. Die Eiligkeit hätte die Beklagte auch aufgrund der ärztlichen Verordnung erkennen können, ebenso, dass keine doppelte Versorgung vorliegt.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

30

Die Berufung war nicht zuzulassen. Der Berufungsstreitwert gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wird nicht erreicht. Ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG liegt nicht vor, wenn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch beruht die Entscheidung auf einer Abweichung von der obergerichtlichen Rechtsprechung.
Rechtsgebiet
Pflegeversicherung

Besteht objektiv Betreuungsbedarf, ist bei fehlender Kooperationsbereitschaft des Betroffenen entscheidend, ob durch die Betreuung eine Verbesserung seiner Situation erreicht werden kann

Bundesgerichtshof: Beschluss vom 27.09.2017 – XII ZB 330/17
BGB § 1896 Abs. 2

FamFG § 26

a) Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 22. März 2017 – XII ZB 260/16 -FamRZ 2017, 995und vom 6. Juli 2016 – XII ZB 131/16 -FamRZ 2016, 1668).

b) An der Erforderlichkeit einer Betreuung kann es im Einzelfall fehlen, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine „Unbetreubarkeit“ vorliegt. Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist allerdings Zurückhaltung geboten (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2016 – XII ZB 363/15 -FamRZ 2016, 1350und vom 28. Januar 2015 – XII ZB 520/14 -FamRZ 2015, 650).

c) § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB lässt die Erforderlichkeit der Betreuung nur bei Vorliegen von konkreten Alternativen entfallen. Die Möglichkeit einer Bevollmächtigung steht der Erforderlichkeit der Betreuung daher nur entgegen, wenn es tatsächlich mindestens eine Person gibt, welcher der Betroffene das für eine Vollmachterteilung erforderliche Vertrauen entgegen bringt und die zur Übernahme der anfallenden Aufgaben als Bevollmächtigter bereit und in der Lage ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 23. September 2015 – XII ZB 225/15 -FamRZ 2015, 2049).

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. September 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling und Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 2. Juni 2017 aufgehoben, soweit das Landgericht die Beschwerde des Betroffenen gegen die Aufhebung der Betreuung für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art und Entscheidung über Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post zurückgewiesen hat.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Der Betroffene wendet sich gegen die Aufhebung der für ihn eingerichteten Betreuung.

2

Für den im Jahre 1990 geborenen Betroffenen wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 22. März 2016 die Beteiligte zu 1, eine Berufsbetreuerin, zur Betreuerin für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungen und Renten- und Sozialleistungsträgern, Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art sowie Entscheidung über Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post bestellt und eine Überprüfungsfrist von drei Jahren bestimmt.

3

Nachdem es in der Betreuungsführung wiederholt zu Schwierigkeiten zwischen dem Betroffenen, dessen Mutter (der Beteiligten zu 3) und der Betreuerin kam, hat das Amtsgericht die Betreuung aufgehoben, weil der Betroffene nicht betreuungsfähig sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen und die von der Mutter im eigenen Namen eingelegte Beschwerde verworfen.

4

Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene weiterhin gegen die Aufhebung der Betreuung.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde ist nur für den Bereich der Wohnungsangelegenheiten unbegründet. Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit mit diesem die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

6

1. Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

7

Für die Bestellung eines Betreuers sei kein Raum, wenn sie keinen Erfolg verspreche. Hiervon sei auszugehen, wenn der Betroffene trotz – oder gerade wegen – einer psychischen Erkrankung die Betreuung und den Kontakt zum Betreuer ablehne und die Betreuung infolgedessen keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet sei. So liege der Fall hier.

8

Für den Bereich der Gesundheitssorge bestehe zwar Handlungsbedarf, weil durch weitere Diagnostik geklärt werden müsse, welche psychische Erkrankung vorliege. Der Betroffene verweigere jedoch die hierfür notwendige Mitwirkung. Für die Wohnungsangelegenheiten sei derzeit kein Betreuungsbedarf erkennbar. Der Betroffene wohne bei seiner Mutter und habe wie diese nicht den Wunsch nach einer Änderung geäußert. Auch für die Vermögenssorge sei kein Handlungsbedarf ersichtlich. Der Betroffene habe weder Verbindlichkeiten noch sonstige laufende Ausgaben, deren Erfüllung überwacht werden müsse. Allein daraus, dass er über weitere – bereits aufgelöste – Konten verfügt und eine Bareinzahlung getätigt habe, über die er der Betreuerin keine Auskunft erteilt habe, lasse sich ebenso wenig ein Handlungsbedarf herleiten wie aus der Tatsache, dass er nicht in der Lage sei, Kontoauszüge zu sammeln.

9

Für den Bereich der Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und die Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen aller Art bestehe zwar ein erheblicher Regelungsbedarf. Das Verhalten des Betroffenen mache es der Betreuerin jedoch unmöglich, ihre Aufgaben wirksam wahrzunehmen. Der Betroffene verweigere eine Kontaktaufnahme, von der Betreuerin erbetene Unterlagen schicke er ihr nicht zu, außerdem erteile er seiner Mutter parallel Vollmachten, ihn in einzelnen, in den Aufgabenkreis der Betreuerin fallenden Angelegenheiten zu vertreten. Ob das Verhalten des Betroffenen (ausschließlich) krankheitsbedingte Ursachen habe, habe aufgrund seiner Verweigerung einer weiteren Diagnostik nicht geklärt werden können. Nach dem bisherigen Verlauf der Betreuung sei davon auszugehen, dass auch ein anderer Betreuer an der Fehlvorstellung des Betroffenen von der Tätigkeit eines Betreuers und der fehlenden Kooperation scheitern werde.

10

Darüber hinaus sei die Mutter in einzelnen Angelegenheiten tätig geworden. Der Betroffene habe ihr am 24. März 2017 eine auf ein Jahr beschränkte Vollmacht erteilt, wozu er in der Lage sei. Somit sei davon auszugehen, dass derzeit ausreichende Hilfen zur Verfügung stünden.

11

2. Das hält mit Ausnahme der Aufhebung der Betreuung für den Bereich der Wohnungsangelegenheiten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

12

a) Nach § 1908 d BGB ist die Betreuung aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers entfallen. Hierfür genügt es, wenn eines der die Betreuung begründenden Tatbestandsmerkmale des § 1896 BGB weggefallen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 18. November 2015 – XII ZB 16/15 -FamRZ 2016, 291Rn. 8 mwN). Bei seiner Prüfung, ob dies hinsichtlich der für den Betroffenen angeordneten Betreuung zu bejahen ist, geht das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass eine Betreuung für den angeordneten Aufgabenkreis gemäß § 1896 Abs. 2 BGB erforderlich sein muss. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (Senatsbeschlüsse vom 22. März 2017 – XII ZB 260/16 -FamRZ 2017, 995Rn. 7 und vom 6. Juli 2016 – XII ZB 131/16 -FamRZ 2016, 1668Rn. 14 mwN).

13

Trotz bestehenden Handlungsbedarfs kann es an der Erforderlichkeit der Betreuung etwa dann fehlen, wenn die Betreuung – aus welchem Grund auch immer – keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet ist. Daher kommt die Aufhebung der Betreuung nach der Senatsrechtsprechung dann in Betracht, wenn sich herausstellt, dass der mit der Bestellung des Betreuers erstrebte Erfolg nicht zu erreichen ist, weil der Betreuer seine Aufgaben nicht wirksam wahrnehmen und zum Wohl des Betroffenen nichts bewirken kann. Davon kann im Einzelfall ausgegangen werden, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine „Unbetreubarkeit“ vorliegt. Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist allerdings Zurückhaltung geboten, zumal die fehlende Bereitschaft, vertrauensvoll mit dem Betreuer zusammenzuarbeiten, Ausdruck der Erkrankung des Betroffenen sein kann. Gerade in diesem Fall kommt die Aufhebung einer Betreuung nur dann in Betracht, wenn es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit oder Behinderung ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig erscheint, die Betreuung aufrechtzuerhalten. Besteht objektiv ein Betreuungsbedarf, ist daher bei fehlender Kooperationsbereitschaft des Betroffenen entscheidend, ob durch die Betreuung eine Verbesserung der Situation des Betroffenen erreicht werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit ein Betreuer durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nehmen könnte (Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2016 – XII ZB 363/15 -FamRZ 2016, 1350Rn. 19 mwN und vom 28. Januar 2015 – XII ZB 520/14 -FamRZ 2015, 650Rn. 11 ff. mwN).

14

Es ist die Aufgabe des Betreuungsgerichts, auch bei schwierigen Betroffenenpersönlichkeiten durch den die Betreuung anordnenden Beschluss geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche rechtliche Betreuung zu schaffen. Deshalb muss das Betreuungsgericht bei der Betreuerauswahl Bedacht darauf nehmen, dass für Betroffene mit schwieriger Persönlichkeit ein Betreuer bestellt wird, der dieser Herausforderung mit Sachkunde und Erfahrung begegnen kann. Gegebenenfalls ist auch ein Betreuerwechsel erforderlich, um eine Person zu bestellen, die Zugang zum Betroffenen findet (Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 – XII ZB 520/14 -FamRZ 2015, 650Rn. 15).

15

b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat das Landgericht das Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen einer Betreuerbestellung für den Betroffenen im Wesentlichen zu Unrecht verneint.

16

aa) Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Landgericht keinen ausreichenden Handlungsbedarf für den Bereich der Wohnungsangelegenheiten gesehen hat. Dass ein solcher auftreten kann, ist nach den getroffenen Feststellungen nicht absehbar und wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht dargelegt.

17

Nicht tragfähig ist hingegen die Begründung des Landgerichts, weshalb es auch für den Bereich der Vermögenssorge an einem Handlungsbedarf fehlen soll. Im Zusammenhang mit dem Bereich der Geltendmachung von Ansprüchen aller Art geht auch das Landgericht von einem erheblichen Regelungsbedarf aus. Die Einkommenssituation des Betroffenen ist ungeklärt, nach erfolgreicher Geltendmachung von Ansprüchen wird die Verwendung der eingehenden Gelder zu regeln sein. Mithin kann sich ein Handlungsbedarf insoweit jederzeit ergeben. Dass der Betroffene sich nicht zu verschulden droht, kann gegen die Notwendigkeit eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB sprechen, beseitigt aber nicht einen rechtlichen Regelungsbedarf für die Vermögenssorge im Übrigen.

18

Soweit es die weiteren bislang von der Betreuung umfassten Bereiche anbelangt, hat das Landgericht einen Handlungsbedarf ausdrücklich und rechtlich zutreffend bejaht.

19

bb) Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, dass das Landgericht von einer „Unbetreubarkeit“ des Betroffenen ausgegangen ist. Bei seiner entsprechenden Annahme hat das Landgericht den Verfahrensstoff nicht ausgeschöpft und dadurch gegen seine aus dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG folgende Pflicht verstoßen.

20

Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend darlegt, hatte das Amtsgericht im Zuge seiner Prüfung, ob die Betreuung aufzuheben sei, eine andere Berufsbetreuerin um Stellungnahme gebeten, ob sie zur Übernahme der Betreuung bereit sei. Diese hatte nach einem persönlichen Gespräch mit dem Betroffenen ausgeführt, der Betroffene wisse sehr genau, welche Hilfen er von einem Betreuer erwarten könne und welche nicht. Alle vom Betroffenen geschilderten Probleme könnten besprochen und geregelt werden. Obwohl diese Berufsbetreuerin ersichtlich ohne Probleme in Kontakt mit dem Betroffenen treten und ein ausführliches Gespräch führen konnte, hat das Landgericht ohne Erwähnung dieses Umstandes die Sinnhaftigkeit eines Betreuerwechsels verneint. Das war rechtsfehlerhaft.

21

cc) Anders als das Landgericht meint, steht der Betreuung auch nicht § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB entgegen. Diese Norm lässt die Erforderlichkeit der Betreuung nur bei Vorliegen von konkreten Alternativen entfallen. Daher sind das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen und die damit einhergehende rechtliche Möglichkeit der Bevollmächtigung nicht ausreichend. Vielmehr muss es auch tatsächlich mindestens eine Person geben, welcher der Betroffene das für eine Vollmachterteilung erforderliche Vertrauen entgegen bringt und die zur Übernahme der anfallenden Aufgaben als Bevollmächtigter bereit und in der Lage ist (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 – XII ZB 225/15 -FamRZ 2015, 2049Rn. 13). Wie die Rechtsbeschwerde mit Recht geltend macht, ist das bei der Mutter des Betroffenen nicht der Fall.

22

Eine Vollmacht, die die Mutter zu einem rechtlichen Tätigwerden in dem Umfang ermächtigen würde, in dem es einer Betreuung bedürfte, hat der Betroffene bislang nicht erteilt. Die vom Landgericht angesprochene Vollmacht vom 24. März 2017 bezieht sich allein auf die „Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Organisation der Betreuung“ und soll die Mutter ersichtlich lediglich legitimieren, für den Betroffenen gegenüber der Betreuerin und dem Betreuungsgericht tätig zu werden. Die Mutter des Betroffenen hat zudem ausdrücklich gegenüber der Betreuungsbehörde abgelehnt, sich bevollmächtigen zu lassen, und ihrerseits nicht zuletzt durch die (verworfene) Beschwerde gegen die Aufhebung der Betreuung darauf gedrungen, dass ein familienfremder Berufsbetreuer für den Betroffenen tätig wird.

23

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen ( § 74 Abs. 7 FamFG ).

Vorschriften
§ 1908 d BGB, § 1896 BGB, § 1896 Abs. 2 BGB, § 1903 BGB, § 26 FamFG, § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 74 Abs. 7 FamFG

Feststellungslast bei einem Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers

Quelle: 26.09.2017 · IWW-Abrufnummer 196719
Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 17.08.2017 – 20 W 188/16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Beschl. v. 17.08.2017

Az.: 20 W 188/16

Tenor:26

Die Sache wird unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Idstein – Nachlassgericht – zurückverwiesen.

Das Nachlassgericht wird auch darüber zu befinden haben, wer die zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens notwendigen Aufwendungen der Beteiligten zu tragen hat.

Der Geschäftswert für das Verfahren der Beschwerde wird auf 400.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Erbfolge nach der verwitwet und kinderlos verstorbenen Erblasserin und dabei über die Frage, ob die Erblasserin am 29.11.2012 testierfähig gewesen ist.

Unter diesem Datum hat die Erblasserin ein, am 05.03.2015 von dem Rechtspfleger des Nachlassgerichts eröffnetes, handschriftliches Testament errichtet, wegen dessen genauen Inhalts auf Bl. 5 der Akte Bezug genommen wird. In dem mit „Mein Testament! Ich bin im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte. Mein letzter Wille:“ eingeleiteten Testament hat sie ihr Hausgrundstück Straße1 in zwei Teilen den Beteiligten zu 3) und 4) zugewiesen. Weiterhin hat sie erklärt, dass der Neffe C 30.000 €, ihre Freundin D 3.000 € und ihre Freundin E 2.000 € erhalten sollen. Sollte von ihrem Geld noch ein Rest übrig sein, solle dieser den Beteiligten zu 3) und 4) zugutekommen. Unter der Unterschrift der Erblasserin befindet sich auf derselben Seite des Schriftstücks ein nicht unterschriebener Zusatz: „Mein letzter Wille! Die Verwandtschaft soll nichts mehr erhalten“.

Dieses Testament ist von dem Beteiligten zu 3) persönlich bei dem Nachlassgericht abgegeben worden, mit dem Hinweis darauf, dass es weitere gesetzliche Erbinnen/Erben nicht gebe (Bl. 1 der Akte).

Bei den Beteiligten zu 1) und 2) handelt es sich um mögliche gesetzliche Erben der Erblasserin dritter Ordnung. Neben diesen gibt es weitere gesetzliche Erben dritter Ordnung, die teilweise gegenüber dem Nachlassgericht Stellung genommen haben. Diese gesetzlichen Erben sind der Auffassung, die Erblasserin habe bereits über mehrere Jahre vor Testamentserrichtung, spätestens seit dem Jahr 2009, und bis zu ihrem Tod an einem krankhaften Verfolgungswahn gelitten, aufgrund dessen sie als testierunfähig anzusehen sei. Im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung habe sie dann die Beteiligten zu 3) und 4) als „Kriminologen und Detektive“ engagiert, die ihr Haus mit einer Vielzahl von Kameras ausgestattet und sich häufig bei ihr aufgehalten hätten. Die Erblasserin habe jedem die Verfolgung durch Einbrecher erzählt, die über ihr Dachgeschoss kämen oder in ihren Keller eindringen würden. Im Hinblick auf die Unkorrigierbarkeit dieser Vorstellungen seit Jahren könne auch nicht mehr von lichten Momenten der Erblasserin innerhalb ihres Wahns ausgegangen werden. Bei der Feststellung eines offensichtlichen Verfolgungswahns und fehlender Behandlung der Erkrankung sei von einem geschlossenen Wahn auszugehen, der die Erblasserin Ende 2012 bei Abfassung des Testaments nicht mehr frei über ihren letzten Willen habe entscheiden lassen. Die Verwandten hätten sich im Übrigen auch um die Erblasserin gekümmert. So habe die Beteiligte zu 1) unter anderem auch Besorgungen für diese erledigt, sie besucht und mit ihr telefoniert. Alle Verwandten hätten mit ihr Kontakt gehabt, auch wenn die ständigen Berichte der Erblasserin über Einbrecher nicht erfreulich gewesen seien.

Die Beteiligten zu 3) und 4) haben demgegenüber den hier verfahrensgegenständlichen Erbscheinsantrag, auf den Bezug genommen wird (Bl. 15 der Akte), am 26.03.2015 zu Protokoll des Rechtspflegers des Nachlassgerichts gestellt und die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins dahingehend beantragt, dass die Erblasserin von ihnen beiden zu je 1/2-Anteil beerbt worden ist aufgrund ihres oben genannten Testaments vom 29.11.2012. Der Beteiligte zu 3) und der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3) und 4) haben unter anderem erklärt, die Brüder seien der Erblasserin – und deren vorverstorbenem Bruder F – in vielen Dingen behilflich gewesen, da sie alleinstehend gewesen sei. Bruder und Erblasserin hätten oftmals erwähnt, dass seitens der Verwandtschaft sich niemand kümmere, so dass deren beide Testamente ausdrücklich den Wunsch enthielten, dass die Verwandtschaft nichts erben solle. Es sei der ausdrückliche Wunsch der Erblasserin gewesen, die Brüder als Erben einzusetzen und es sei Unfug, ja üble Nachrede oder Verleumdung, hier von einer Testierunfähigkeit zu sprechen. Auch die Betreuungsverfahren hätten bestätigt, dass die Erblasserin geistig wach, orientiert und keineswegs verwirrt gewesen sei; eine Betreuung sei ausdrücklich nicht angeordnet worden. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Erblasserin bis zuletzt alleine gelebt habe und auch, dass sie den Nachlass ihres vorverstorbenen Bruders alleine abgewickelt und auch dessen Haus verkauft habe. Dies hätte ein Testierunfähiger nicht gekonnt. Ein Testierunfähiger werde auch wohl kaum solch konkrete Regelungen wie im vorliegenden Testament treffen, bei denen es sich um bewusste und nachvollziehbare erbrechtliche Entscheidungen gehandelt habe. Alleine aus ihrer Angst, von Einbrechern bestohlen zu werden, könne nicht auf eine Testierunfähigkeit geschlossen werden. Es sei bekannt, dass die Erblasserin eine übertriebene Angst vor Einbrechern gehabt habe und sich seit mehr als 10 Jahren der Beteiligten zu 3) und 4) und deren Detektei als Berater in solchen Fällen bedient habe. Alleine das Vorliegen von Wahnvorstellungen reiche nicht aus, andernfalls wäre jedwede Bedenkung von Personen, die sich mit der Abwehr von Diebstählen beschäftigen, sittenwidrig und von den Wahnvorstellungen bestimmt. Eine gegebenenfalls leichte beginnende Demenz habe mit der Testierunfähigkeit nichts zu tun. Ganz offensichtlich habe die Erblasserin ihre Erbverwandtschaft aus vielfältigen Gründen nicht bedenken wollen und daher andere Erben auserkoren, die sich um sie kümmerten, sei es auch aus Anlass der vermeintlichen Diebstähle. Für eine Einflussnahme gebe es keine Anhaltspunkte, zumal sich diese von einer solchen durch Hilfe und Freundschaft unterscheiden müsse. Die Erblasserin könne die testamentarischen Erben, die von dem Testament nichts gewusst hätten, auch aus Gründen der Zuneigung eingesetzt haben, was sogar wahrscheinlicher sei. Im Übrigen gebe es auch erhebliche Zweifel an der Feststellung einer Psychose bei der Erblasserin. Falls die Erblasserin überhaupt an einer Störung gelitten habe, die man außerhalb ihrer Verwandtschaft bemerkt habe, dann gehöre diese eher in den Bereich der Psychopathie. In einem späteren Schriftsatz an den Senat hat der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3) und 4) dann erklärt, es komme nur die Psychose für eine Testierunfähigkeit in Betracht, die aber erhebliche Schwankungen im Gemütszustand erlaube. Diese Psychose, wenn man nicht besser von einer Neigung oder Spleen sprechen wolle, sei beschränkt gewesen und habe durchaus Raum für ein unbeeinflusstes Leben gelassen.

Der Richter des Nachlassgerichts hat mit Beschluss vom 29.05.2015 (Bl. 38 der Akte) die Beweiserhebung über die Frage, ob die Erblasserin am 29.11.2012 testierfähig war, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Dabei sollte die Begutachtung zunächst anhand der vorhandenen Gutachten im Zusammenhang mit dem Betreuungsverfahren und dem Verfahren auf Entzug des Führerscheins der Erblasserin erfolgen. Eine Vernehmung von Zeugen in Gegenwart des medizinischen Sachverständigen wurde vorbehalten. Zu einer derartigen Zeugenvernehmung ist es dann nicht gekommen.

Auf das nachfolgend erstellte schriftliche Sachverständigengutachten des SV1 vom 28.08.2015 (Bl. 51 ff. der Akte), in dem dieser zu dem Ergebnis gekommen ist, die Erblasserin sei am 29.11.2012 als testierunfähig anzusehen gewesen, wird wegen dessen Begründung Bezug genommen.

Außerdem wird Bezug genommen auf das Protokoll über die mündliche Anhörung des genannten Sachverständigen durch den Richter des Nachlassgerichts am 25.04.2016 (Bl. 125 ff. der Akte).

Mit Beschluss vom 30.05.2016 hat der Richter des Nachlassgerichts sodann die Tatsachen für festgestellt erachtet, die zur Erteilung des von den Beteiligten zu 3) und 4) beantragten Erbscheins erforderlich sind. Maßgeblich hat er darauf abgestellt, dass von einer Testierunfähigkeit nicht mit hinreichender Sicherheit ausgegangen werden könne, da der Sachverständige in seiner Anhörung am 25.04.2016 ausdrücklich die Möglichkeit erklärt habe, dass die Erblasserin hier einmal einen lichten Augenblick gehabt habe und klar erkannt habe, worum es gehe. Wegen seiner Darlegungen im Einzelnen wird auf den genannten Beschluss Bezug genommen (Bl. 141 ff. der Akte).

Gegen diesen, ihm am 02.06.2016 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 2) mit Schreiben an das Nachlassgericht vom 30.06.2006 – dort eingegangen am selben Tag – Beschwerde eingelegt, auf die wegen ihrer Begründung Bezug genommen wird (Bl. 162 f der Akte). Ebenso hat die Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) gegen diesen ihr am 02.06.2016 zugestellten Beschluss mit Schriftsatz an das Nachlassgericht vom 01.07.2016 – dort eingegangen am 02.07.2016 – Beschwerde eingelegt, auf die wegen ihrer Begründung ebenfalls Bezug genommen wird (Bl. 166 ff der Akte).

Der Richter des Nachlassgerichts hat den Beschwerden mit Beschluss vom 05.07.2016, auf den Bezug genommen wird (Bl. 178 der Akte), nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Schriftsatz vom 01.08.2016 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) nach § 69 Absatz 1 S. 3 FamFG die Zurückverweisung des Verfahrens an das Nachlassgericht beantragt (Bl. 192 der Akte), genauso wie hilfsweise der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3) und 4) mit Schriftsatz vom 13.08.2016 (Bl. 194 ff der Akte).

Der Senat hat die bereits dem Nachlassgericht und dem Sachverständigen vorliegenden Akten des Amtsgerichts Stadt1- Betreuungsgericht – zu den dortigen Aktenzeichen … und … – auf deren Inhalt Bezug genommen wird – angefordert und eingesehen sowie die Beteiligten über die entsprechenden Aktenanforderungen informiert.

Weiterhin wird Bezug genommen auf die vom Nachlassgericht der hiesigen Akte beigefügte Kopie einer Akte des …, Referat Fahrerlaubniswesen (Bl. 45 ff der hiesigen Akte). Außerdem wird Bezug genommen auf die den hiesigen Akten bereits beigefügte Nachlassakte des vorverstorbenen Bruders der Erblasserin, F (Amtsgericht Stadt1, Az. …), die Stellungnahmen des C vom 04.03.2016 (Bl. 104 f der Akte) und 09.08.2017 (Bl. 225 ff der Akte), die E-Mail des G vom 07.03.2016 (Bl. 109 ff der Akte) sowie auf sämtliche Schriftsätze der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten, Eingaben der Beteiligten selbst und Hinweise des Senats an die Beteiligten.

II.

Die Beschwerden sind gemäß § 58 FamFG statthaft. Die Beschwerdeführer sind als mögliche gesetzliche (Mit-) Erben der Erblasserin durch die Feststellung der zur Erteilung des die Beteiligten zu 3) und 4) als alleinige Erben ausweisenden Erbscheins möglicherweise in ihrem eigenen Erbrecht beeinträchtigt (§ 59 Abs. 1 FamFG). Die Beschwerden sind auch im Übrigen zulässig, da sie insbesondere form- und fristgerecht eingelegt wurden (§§ 63, 64 FamFG).

Der Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) und 2) steht dabei nicht entgegen, dass diese von vorneherein bei Bestehen der von ihnen behaupteten Testierunfähigkeit der Erblasserin deswegen nicht gesetzliche Erben sein könnten, weil ihnen als Erben dritter Ordnung C als dann alleiniger gesetzlicher Erbe zweiter Ordnung vorgehen würde (vgl. § 1930 BGB; hierzu Weidlich in Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 2359, Rn. 14).

Im Hinblick auf das Schreiben des C vom 09.08.2017 nebst Anlagen an den Senat ist nunmehr geklärt, dass C nicht mehr in einem, eine gesetzliche Erbenstellung vermittelnden Verwandtschaftsverhältnis zur Erblasserin stand. Da der am …1959 geborene C nach seinen Angaben nicht durch eigene Verwandte oder Verschwägerte zweiten oder dritten Grades im Jahr 1961 wegadoptiert wurde, ist dessen Verwandtschaftsverhältnis zur Erblasserin mit Wirksamwerden dieser Adoption durch gerichtliche Bestätigung am 19.06.1961 erloschen (vgl. §§ 1755 Abs. 1, 1756 Abs. 1 BGB, § 2 Abs. 1 und Abs. 2, S. 1, 1. Halbsatz Adoptionsgesetz vom 02.07.1976). Somit ist es auch unerheblich, ob es sich bei C, wie er dargelegt hat und wofür auch der Inhalt des von ihm vorgelegten Adoptionsvertrages vom 25.04.1961 spricht, um das leibliche Kind der 2002 vorverstorbenen Halbschwester der Erblasserin H, geb. B handelt oder aber, wie die Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) jedenfalls zunächst vorgetragen hat, um das leibliche Kind einer allerdings ebenfalls bereits 1988 vorverstorbenen Tochter dieser Halbschwester der Erblasserin.

Weiterhin ist es für die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) und 2), die somit grundsätzlich als gesetzliche Erben der Erblasserin in Betracht kommen, auch unerheblich, ob diese letztlich wirksam testamentarisch von der Erblasserin enterbt worden sind, insbesondere, ob eine derartige Enterbung im Hinblick auf den nicht gesondert unterschriebenen Zusatz des Testaments, wonach die „Verwandschaft“ nichts mehr erhalten solle, überhaupt formwirksam erfolgt wäre. Hierauf kann es im vorliegenden Verfahren schon deswegen nicht ankommen, weil es hier nicht um eine mögliche testamentarische Erbenstellung der Beteiligten zu 1) und 2) geht – bei der die Enterbung dann aber auch nur eine sogenannte doppelrelevante Tatsache wäre, die deren Beschwerdebefugnis bei Zurückweisung eines eigenen Erbscheinsantrages ebenfalls nicht entgegenstehen würde (vgl. Meyer-Holz in Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017, Rn. 20 m.w.N.) -, sondern lediglich um den Erbscheinsantrag der nicht mit der Erblasserin verwandten Beteiligten zu 3) und 4).

Die Beschwerden der Beteiligten zu 1) und 2) haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang in der Sache vorerst Erfolg.

Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Nachlassgerichts und des Verfahrens ist dieses zur weiteren Sachbehandlung und neuerlichen Entscheidung an das Nachlassgericht zurückzuverweisen, da dessen Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet, zur Entscheidung eine umfangreiche weitere Beweiserhebung notwendig ist und die Beteiligten – zumindest hilfsweise – die Zurückverweisung beantragt haben (§ 69 Absatz 1 Satz 3 i.V.m. Satz 2 FamFG).

Allerdings liegt dieser Mangel nicht im Bereich der vom Nachlassgericht vorgenommenen inhaltlichen Auslegung des Testaments der Erblasserin.

Auch der Senat geht schon mangels eines Anhalts für weiteres wesentliches Vermögen der Erblasserin davon aus, dass diese mit der Verteilung ihres Hausgrundstückes Straße1, der Einzelzahlungsbeträge von insgesamt 35.000 € und des dann verbleibenden „Restgeldes“ eine vollständige Aufteilung ihres Vermögens wollte und damit auch eine Erbeinsetzung beabsichtigt hat. Weiterhin geht auch der Senat mangels anderen Anhalts davon aus, dass es sich bei dem den Beteiligten zu 3) und 4) zugewandten Hausgrundstück – gegebenenfalls mit „Restgeld“ – um den auch von ihr als wesentlich angesehenen Nachlass handelt, mit dessen Zuweisung im Unterschied zu den als Vermächtnissen zu bezeichnenden Einzelzahlungsbeträgen die Erbenstellung der Beteiligten zu 3) und 4) verbunden sein sollte (vgl. zu den entsprechenden Auslegungskriterien: Weidlich in Palandt, BGB, 76. Aufl., 2017, § 2087, Rn. 3 und 5). Gegen diese Auslegung des Nachlassgerichts wenden sich die Beteiligten auch nicht. Insbesondere hat auch der größte Vermächtnisnehmer C keine Erbansprüche gegenüber dem Nachlassgericht oder dem Senat geltend gemacht.

Der wesentliche Mangel liegt vielmehr in der Verletzung der in § 26 FamFG normierten gerichtlichen Aufklärungspflicht durch das Nachlassgericht, soweit dieses zu dem Ergebnis kommt, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments testierunfähig gewesen sei. Die Entscheidung des Nachlassgerichts beruht auch auf diesem Verfahrensmangel, da sich die Möglichkeit einer im Ergebnis anderen Entscheidung nach durchgeführter weiterer Sachverhaltsaufklärung und zu erwartender umfangreicher Beweiserhebung nicht ausschließen lässt. Da eine Durchführung der zur Beurteilung der Testierfähigkeit noch erforderlichen weiteren Aufklärung durch den Senat als Beschwerdegericht faktisch dem Verlust einer Instanz für die Beteiligten gleichkommen würde (vgl. Sternal in Keidel, a.a.O., § 69 Rn. 15b, m.w.N. zur Rspr.), hält der Senat eine Zurückverweisung für erforderlich.

Im Erbscheinsverfahren hat das Nachlassgericht Zweifel, die auf konkreten Umständen und dargelegten Auffälligkeiten beruhen, ohne Bindung an den Vortrag der Beteiligten von Amts wegen zu prüfen (§ 26 FamFG, § 2358 BGB). Für die Durchführung von Ermittlungen durch das Gericht, insbesondere durch eine Beweisaufnahme, ist dabei nicht zu verlangen, dass die Beteiligten entsprechend der für den Zivilprozess geltenden Grundsätze Beweis antreten müssen; vielmehr genügt es, dass der Vortrag und die Bezeichnung geeigneter Beweismittel durch die Beteiligten dem Gericht Anhaltspunkte dafür geben, in welche Richtungen es seine Ermittlungen durchführen kann. Die richterliche Aufklärungspflicht ist dabei dann verletzt, wenn Ermittlungen, zu denen nach dem Sachverhalt als solchem und dem Vorbringen der Beteiligten Anlass bestand, nicht durchgeführt worden sind. Dabei sind die Ermittlungen erst dann abzuschließen, wenn von weiteren Maßnahmen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist. Im Rahmen der Ermittlung der Testierfähigkeit ist im Hinblick auf deren Tragweite eine sorgfältige Untersuchung geboten, die eine Einbeziehung der Vorgeschichte und aller äußeren Umstände voraussetzt (vgl. u.a. Senat, Beschluss vom 22.12.1997, Az. 20 W 264/95, zitiert nach Beck-online, m.w.N.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.04.2015, Az. 11 Wx 82/14, zitiert nach juris).

Den zuletzt genannten Anforderungen wird das vorliegende Verfahren des Nachlassgerichts nicht gerecht. Der Richter des Nachlassgerichts durfte seine Entscheidung, wonach eine Testierunfähigkeit der Erblasserin nicht nachgewiesen sei, nämlich nicht – wie er es getan hat – ohne weitere Ermittlungen alleine auf die von dem Sachverständigen in dessen mündlicher Anhörung am 25.04.2016 hinsichtlich „der Psychose…“ getroffene Feststellung stützen, es könne „…durchaus sein, dass Frau A hier einmal einen lichten Augenblick hatte und genau erkannt hat, worum es geht.“.

Für die Feststellung einer Testierunfähigkeit ist im Einzelnen von der folgenden Rechtslage auszugehen:

Gemäß § 2229 Abs. 4 BGB ist testierunfähig, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dabei gilt als testierunfähig derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, also von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildung braucht nicht nur darin zutage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments oder von dessen Inhalt oder Tragweite, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag; sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von möglichen Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (vgl. u.a. bereits BGH, Urteil vom 29.01.1958, Az. IV ZR 251/57; BayObLG, Beschluss vom 17.08.2004, Az. 1Z BR 53/04; OLG München, Beschluss vom 14.08.2007, Az. 31 Wx 16/07, jeweils zitiert nach juris). Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnte (BayObLG, a.a.O. und OLG München, jeweils a.a.O., m.w.N.). Es gibt auch keine nach Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte Testierfähigkeit; die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder fehlt ganz (vgl. u.a. Weidlich in Palandt, a.a.O., § 2229 Rn. 1 m.w.N.). Grundsätzlich ist dabei weiterhin zu beachten, dass es keine notwendige Voraussetzung der Testierunfähigkeit ist, dass (auch) ein Versagen auf intellektuellem Gebiet vorliegt; auch wenn in dieser Hinsicht keine Defekte festzustellen sind, aber die Freiheit des Willensentschlusses durch krankhafte Störungen der Motiv- und Willensbildung aufgehoben ist, liegt eine Testierunfähigkeit vor (vergleiche u.a. BayOblG, Beschluss vom 27.07.2001, Az. 1Z BR 84/00 für den Fall eines Altersparanoids im Sinne eines Bestehlungswahns). Bei einer derartigen Störung der Motiv- und Willensbildung kann eine Testierunfähigkeit letztlich auch dann gegeben sein, wenn der Erblasser – wie vorliegend wohl auch die Erblasserin – im Übrigen bis zu seinem Tode imstande gewesen ist, sich selbst zu versorgen und seine gesamten Angelegenheiten selbst zu erledigen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 27.07.2001, a.a.O.).

Hinsichtlich der jedenfalls von dem gerichtlichen Sachverständigen – unter Bezugnahme auf das Gutachten der Sachverständigen des Betreuungsverfahrens, SV2, vom 08.02.2013 (Amtsgericht Stadt1, Az. …, Bl. 11 ff der dortigen Akte) und das von SV3 im Zusammenhang mit dem Verwaltungsverfahren auf Einziehung des Führerscheins der Erblasserin am 08.03.2010 erstellte Gutachten (Bl. 45 ff der hiesigen Akte) – bejahten krankhaften Wahnvorstellungen der Erblasserin, die auch der Richter des Nachlassgerichts als gegeben angesehen hat, ist außerdem grundsätzlich Folgendes zu beachten:

Wahnhafte Störungen (nach älterer Nomenklatur auch endogene Psychosen) können in Abgrenzung zu alterstypischen „verbohrten“ Meinungen dann die freie Willensbildung zur Testamentserrichtung ausschließen, wenn sie krankhaft sind, wenn also eine krankheitsbedingte Abkoppelung von Erfahrung, Logik und (sub-) kulturellem Konsens sowie der Verlust der diesbezüglichen Kritik- und Urteilsfähigkeit vorliegen, dem Betroffenen also ein vernünftiges Abwägen nicht mehr möglich und er logischen Argumenten nicht mehr zugänglich ist (vergleiche Cording, „Kriterien zur Feststellung der Testier(un)fähigkeit“, ZEV 2010,115 ff., 118) bzw. der Betroffene von seinen Wahnideen ganz beherrscht wird, sie ausbaut und bei jeder Gelegenheit geltend macht (so BayObLG, Beschluss vom 24.10.2001, Az. 1Z BR 40/01, zitiert nach juris). Hinzu kommen muss für die Bejahung einer Testierunfähigkeit dann aber weiterhin, da eine von Wahnvorstellungen besessene Person in Bereichen, die mit diesen Wahnvorstellungen nicht zusammenhängen, durchaus normal und vernünftig handeln und denken kann, dass sich die Wahnvorstellungen inhaltlich auf Themen beziehen, die für die Willensbildung in Bezug auf die Testamentserrichtung relevant sind (vgl. u.a. BayObLG, Beschlüsse vom 27.07.01, a.a.O., vom 14.09.2001, Az. 1Z BR 124/00 und vom 31.01.1991, Az. BReg 1 a Z 37/90, jeweils zitiert nach juris; Cording, a.a.O., 118; so auch Venzlaff/Förster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 519). Der Erblasser muss also in der Lage gewesen sein, sich ein von seinen Wahnvorstellungen unbeeinflusstes Urteil über seine Rechtsnachfolge von Todes wegen zu bilden (BayObLG, Beschluss vom 27.07.2001, a.a.O.).

Dabei steht auch der Umstand, dass ein Erblasser ein Testament formuliert hat, das für sich genommen nach Form und Inhalt keine Anzeichen einer krankhaften Geistesstörung erkennen lässt, der Annahme einer Testierunfähigkeit wegen einer krankhaften Wahnsymptomatik nicht entgegen (vgl. hierzu u.a. BayObLG, Beschluss von 21.07.1999, Az. 1Z BR 122/98, zitiert nach juris).

Eine derartige krankhafte Wahnvorstellung ist weiterhin abzugrenzen von einer Psychopathie, also einer extrem schweren Form der antisozialen Persönlichkeitsstörung, bei deren alleinigem Vorliegen nach der veröffentlichten Rechtsprechung jedoch grundsätzlich eine Testierunfähigkeit nicht angenommen werden kann (vgl. Weidlich, a.a.O., Rn. 9, m.w.N.). Soweit das Bayerische Oberste Landesgericht in seinem Beschluss vom 31.01.1991 (a.a.O.) auch krankhafte Wahnvorstellungen als im weiteren Sinne in den Bereich der Psychopathie fallend angesehen hat, handelt es sich offensichtlich um eine Einzelentscheidung, die so in der nachfolgenden Rechtsprechung nicht mehr vertreten worden ist und vertreten wird.

Insbesondere auch das Bayerische Oberste Landesgericht hat in späteren Entscheidungen Wahnvorstellungen zu Recht nicht mehr unter den Begriff der Psychopathie gefasst (vergleiche u.a. BayObLG, Beschlüsse vom 17.08.2004, a.a.O, 24.10.2001, a.a.O. und 27.07.2001, a.a.O.; jedenfalls im Leitsatz seines Beschlusses vom 21.07.1999, a.a.O., hat das Bayerische Oberste Landesgericht sogar eine ausdrückliche Abgrenzung zu seinem Beschluss vom 31.01.1991, a.a.O, erklärt).

Die Klärung der Frage, ob die vorgenannten tatsächlichen Voraussetzungen der Testierunfähigkeit gegeben waren, verlangt vom Nachlassgericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht, die konkreten auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers aufzuklären, sodann Klarheit über den medizinischen Befund zu schaffen und anschließend die hieraus zu ziehenden Schlüsse zu prüfen. Bestehen dann weiter Zweifel an der Testierfähigkeit, sind diese regelmäßig durch das Gutachten eines psychiatrischen oder nervenärztlichen Sachverständigen zu klären, wobei der Sachverständige anhand der ermittelten Anknüpfungstatsachen zum einen den medizinischen Befund festzustellen, zum anderen dessen Auswirkungen auf die Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit des Erblassers zu klären hat. Das Gericht hat sodann das Gutachten auf seinen sachlichen Gehalt, seine logische Schlüssigkeit sowie darauf zu prüfen, ob es von dem für erwiesen erachteten Sachverhalt ausgeht und eine am richtigen Begriff der Testierunfähigkeit orientierte überzeugende Begründung liefert (vgl. insgesamt u.a. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 01.06.2012, Az. I-3 Wx 273/11 und vom 19.02.2016, Az. I-3 Wx 40/14; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 13.01.2014, Az. 3 W 49/13; BayObLG, Beschluss vom 19.04.2000, Az. 1Z BR 159/99, jeweils zitiert nach juris).

Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen durfte der Richter des Nachlassgerichts hier – wie gesagt – seine Entscheidung nicht ohne weitere Ermittlungen alleine auf die von dem Sachverständigen getroffene Feststellung stützen, es könne „…durchaus sein, dass Frau A hier einmal einen lichten Augenblick hatte und genau erkannt hat, worum es geht.“.

Es ist schon nicht ersichtlich, auf welcher tatsächlichen Grundlage die genannte Äußerung des Sachverständigen SV1 beruht, was insbesondere auch für seine weitere Feststellung gilt: „Wenn Sie mich weiter fragen, ob es auch lichte Momente gegeben haben könnte, in denen sie sogar die Einbrecher vergisst, dann kann ich nur wiederholen, dass dieses Krankheitsbild stark flukturierend ist. Es ist gar nicht einmal ausgeschlossen, dass so etwas vorkommt.“. Für den Senat liegt es allerdings im Hinblick auf den Inhalt des gerichtlichen Protokolls über die Anhörung des Sachverständigen nahe, dass der Sachverständige Form und Inhalt des maßgeblichen Testaments der Erblasserin vom 29.11.2012 – nachdem in seiner vorherigen schriftlichen Gutachtenerstellung diesbezügliche Feststellungen völlig fehlen – erstmals im Rahmen der mündlichen Anhörung überhaupt näher zur Kenntnis genommen und zum Anlass für seine genannten Ausführungen genommen hat. Dies ergibt sich so jedenfalls aus seiner protokollierten Erklärung: „Das klingt doch eigentlich ganz gut, hat sie da einen lichten Augenblick gehabt? Die Schrift ist in Ordnung und die Sache ist auch gedanklich nachvollziehbar.“. Wie oben bereits dargelegt, steht aber der Umstand, dass ein Erblasser ein Testament formuliert hat, das für sich genommen nach Form und Inhalt keine Anzeichen einer krankhaften Geistesstörung erkennen lässt, der Annahme einer Testierunfähigkeit wegen einer krankhaften Wahnsymptomatik nicht entgegen. Dass der Sachverständige SV1 auch seine weiteren Ausführungen bezüglich des „wechselnden“/ „stark schwankenden“ Misstrauens gegenüber Verwandten und sonstigen Personen, bzw. der „stark flukturierenden“ Misstrauenszustände und weiterhin, dass es bei Psychosen durchaus sein könne, dass der Patient auf einmal klar erkenne, „wie es auch ein Dritter sehen würde“, überhaupt auf konkrete, die Erblasserin betreffende Fakten abseits der von ihm in Bezug genommenen Form und des Inhalts des Testaments gestützt hat, oder stützen konnte, ist demgegenüber weder aus dem übrigen Protokollinhalt noch sonst aus der Akte ersichtlich.

Insbesondere ergibt sich dies auch nicht aus seinem vorausgegangenen schriftlichen Sachverständigengutachten. Eine derartige tatsächliche Grundlage hat auch das Nachlassgericht nicht angeführt, bzw. zuvor ermittelt. Nach derzeitiger Aktenlage spricht demgegenüber aber einiges für die Auffassung der Beschwerde, wonach es sich bei dem – jedenfalls von Sachverständigem und Nachlassgericht dem Grunde nach bejahten – krankhaften Wahn der Erblasserin um einen bereits chronischen Wahn handelte. Hierfür spricht jedenfalls, dass die wohl irrealen Wahrnehmungen der Erblasserin – selbst wenn sie im Ausgangspunkt tatsächlich einmal bestohlen worden sein sollte – über das fortlaufende Eindringen eines Diebes in ihr Haus, seiner andauernden neuen Diebstähle unter teilweisem Zurückbringen von angeblich gestohlenen Gegenständen unter angeblicher Mitnahme wiederum anderer Gegenstände, bereits mehre Jahre vor Testamentserrichtung immer wieder von der Erblasserin auch Dritten gegenüber mitgeteilt worden sind. Hierzu wird beispielsweise auf die Vielzahl der schon im Jahr 2008 beginnenden polizeilichen Protokolle über entsprechende Anzeigen der Erblasserin Bezug genommen, dort insbesondere auf den von der Erblasserin selbst ausgefüllten Zeugen-Fragebogen zu ihrer Anzeige vom 24.09.2009 (Bl. 45 ff der Akte), den Vermerk des Nachlassgerichts in der Nachlassakte des vorverstorbenen Bruders der Erblasserin vom 29.12.2009 über den Anruf der Erblasserin bei dem Nachlassgericht unter Mitteilung, sie könne das Testament des Bruders nicht finden, weil es wahrscheinlich vom Dachdecker gestohlen worden sei, der ständig bei ihr und ihrem verstorbenen Bruder einbreche und Sachen klaue, auch Sterbe- und Geburtsurkunden und auch Sachen zerstöre (Bl. 4 R der dortigen Akte), das oben bereits erwähnte Gutachten des SV3 vom 08.03.2010, die Stellungnahme des SV4 vom … vom 28.12.2009 und das Anhörungsprotokoll des Betreuungsrichters J vom 05.01.2010 (Bl. 1 f, 3 der Betreuungsakte des Amtsgerichts Stadt1 zu Az. …). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich schon aus dem in Bezug genommenen Gutachten des SV3 ergibt, dass die Erblasserin sich damals keiner ärztlichen Behandlung unterzogen hat und insgesamt nicht krankheitseinsichtig war. Dafür, dass sich die Erblasserin nachfolgend einer Behandlung unterzogen hat, gibt es jedenfalls aus dem bisherigen Akteninhalt keinerlei Anhalt. Aus dem dann nur zwei Monate nach Testamentserrichtung erstellten, oben bereits erwähnten Sachverständigengutachten der SV2 vom 06.02.2013 ergibt sich vielmehr, dass die Erblasserin jedenfalls zu diesem Zeitpunkt kein Psychopharmakum eingenommen hat und im Rahmen der Anhörung immer wieder auf die Wahrnehmung zurückgekommen ist, sie werde bestohlen und dabei realitätsferne Darstellungen geäußert hat. Weiterhin ergibt sich aus diesem Gutachten, dass die Erblasserin die Realitätsferne ihrer Darstellung nicht wahrnehmen und kritisch reflektieren konnte, sich inhaltlich wahnhafte Vorstellungen mit der Überzeugung bestohlen, beeinträchtigt und fortlaufend im Fokus des Interesses zu stehen ergeben haben, wovon sie unkorrigierbar überzeugt gewesen ist. Die dortige Sachverständige hat weiterhin darauf hingewiesen, eventuell solle der Versuch unternommen werden, die Erblasserin auf Psychopharmaka einzustellen, auch wenn isoliert wahnhafte Störungen nur teilweise auf die Gabe von Medikamenten ansprechen würden.

Eine Auseinandersetzung mit diesen Umständen findet sich, wie gesagt, weder in dem Protokoll über die mündliche Anhörung des Sachverständigen SV1, noch in den Ausführungen des angefochtenen Beschlusses des Nachlassgerichts. Dies wäre jedoch schon aus dem Grund erforderlich gewesen, weil bei den meisten dauerhaften, geistigen, nachhaltig wirkenden Erkrankungen sogenannte „luzide Intervalle“ ausgeschlossen werden, die der Richter des Nachlassgerichts hier aber aufgrund der Äußerungen des Sachverständigen bei seiner tragenden Begründung des angefochtenen Beschlusses für den Zeitpunkt der Abfassung des Testaments am 29.11.2012 meinte, nicht ausschließen zu können (vgl. Baumann in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2012, § 2229, Rn. 41). Insoweit weist Cording (a.a.O., S. 120) darauf hin, dass sich bei chronischen Störungen die Beurteilung der Testierfähigkeit nach den im fraglichen Zeitraum vorhandenen Dauerveränderungen richtet. Wenn im Rahmen einer derartigen Erkrankung ihrem Wesen nach chronische psychopathologische Symptome bzw. Syndrome belegt seien, die Testierunfähigkeit bedingten, so seien kurzfristige (Stunden, Tage dauernde) „luzide Intervalle“ mit Wiedererlangung der Urteilsfähigkeit praktisch ausgeschlossen und als ernsthafte Möglichkeit im Sinne der Rechtsprechung nicht in Betracht zu ziehen (in diesem Sinne wohl auch Venzlaff/Foerster, a.a.O., S. 518, 519, soweit sich bei chronisch verlaufenden psychischen Störungen die Beurteilung nach den vorhandenen Dauerveränderungen richte; vgl. hierzu auch OLG München, Beschluss vom 01.07.2013, Az. 31 Wx 266/12, zitiert nach juris, allerdings im Zusammenhang mit einer chronisch-progredienten Demenz). Dementsprechend hat auch bereits das Bayerische Oberste Landesgericht (Beschluss vom 20.07.1962, Az. BReg 1Z 33/61 in BayObLGZ 62, 219 ff) eine dortige Sachverständigenbegutachtung zur Begründung seiner Entscheidung herangezogen, nach der die dortige Erblasserin an einem Altersparanoid gelitten habe, durch das schlechthin, also ohne, das lichte Augenblicke möglich gewesen wären, ihre Testierunfähigkeit ausgelöst worden sei.

Der Richter am Nachlassgericht hätte demnach seine abschließende Entscheidung noch nicht treffen dürfen, da zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht einmal das konkrete Krankheitsbild der Erblasserin vollständig ermittelt worden war, das dann in seiner Bedeutung für die Testierfähigkeit der Erblasserin hätte zu Grunde gelegt werden können.

Dies wird das Nachlassgericht nunmehr nachzuholen haben.

Dabei liegt es nahe – nicht zuletzt im Hinblick auf die von dem Richter des Nachlassgerichts in seinem angefochtenen Beschluss selbst festgestellte geringe Verwertbarkeit des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen SV1 vom 28.08.2015, das nach seiner Ansicht einen Weg zur dort gestellten Diagnose nicht habe erkennen lassen, und den von ihm in Bezug genommenen Ablauf der mündlichen Anhörung des Sachverständigen – für das weitere Verfahren einen anderen Sachverständigen zu beauftragen (vgl. § 30 FamFG Abs. 1 FamFG, § 412 Abs. 1 ZPO). Im Hinblick auf die vorliegend besonders anspruchsvolle Aufgabe ist es zu empfehlen, bei der Auswahl des Sachverständigen wiederum darauf zu achten sein, dass es sich bei dem Sachverständigen soweit möglich wiederum um einen Facharzt für Psychiatrie mit dem Schwerpunkt „Forensische Psychiatrie“ der Ärztekammern handelt und/oder mit dem Zertifikat „Forensische Psychiatrie“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). Weiterhin sollte er sich mit dem Spezialgebiet der Begutachtung der Geschäfts- und Testierfähigkeit bereits in besonderer Weise auseinandergesetzt haben (vgl. Cording, „Beweismittel zur Klärung der Testier(un)fähigkeit“, ZEV 2010, 23 ff, 9,10).

Dieser Sachverständige wird sich – neben der zunächst herauszuarbeitenden vollständigen Diagnose – insbesondere auch erstmals mit der oben bereits dargelegten Frage auseinanderzusetzen haben, ob sich eine gegebenenfalls bei der Erblasserin festzustellende krankhafte Wahnvorstellung inhaltlich auf Themen bezog, die für ihre Willensbildung in Bezug auf die vorliegende Testamentserrichtung als relevant angesehen werden können.

Hierbei wird er auch auf den Umstand einzugehen haben, dass die Erblasserin mit dem Beteiligten zu 3) den Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Firma1 in Stadt2 (genau: Firma1-GmbH) nebst dessen Bruder – den Beteiligten zu 4) – zu ihren alleinigen Erben eingesetzt hat; weiterhin, dass sie diese Personen offensichtlich aus Anlass ihrer, gegebenenfalls wahnhaften Bestehlungsängste kennengelernt hat, und sie außerdem in der Folgezeit – möglicherweise ebenfalls begründet durch ihre gegebenenfalls bestehenden wahnhaften Bestehlungsängste – unwidersprochen das Haus von den „Kriminologen und Detektiven“ mit Kameras hat ausstatten lassen und auch zumindest 40.000 € an diese Detektei überwiesen hat, wobei die Erblasserin auch selbst ausweislich eines Vermerks des Betreuungsrichters J vom 10.04.2013 eingeräumt hat, viel Geld an den Detektiv gezahlt zu haben, Detektive seien so teuer (vgl. Betreuungsakte des Amtsgericht Stadt1 zu Az. ..: Polizeiprotokoll vom 25.01.2013, Bl. 3, Gutachten der Sachverständigen SV2, Bl. 12 und Anhörungsvermerk des Betreuungsrichters J, Bl. 22 R der dortigen Akte).

Der Sachverständige wird sich also intensiv mit der Frage zu befassen haben, ob die Erblasserin in ihrer Motivbildung zur Testamentserrichtung nicht mehr frei und unabhängig von einer gegebenenfalls bestehenden krankhaften Wahnvorstellung gewesen ist und somit ausschließlich andere, nicht krankhaft bestimmte Motive – wie sie die Beteiligten zu 3) und 4) aufgrund einer angeblich zur Erblasserin entwickelten Freundschaft geltend machen wollen – ihre Testamentserrichtung alleine nicht mehr bestimmen konnten.

Der Sachverständige wird dann auch zu begutachten haben, ob – wie es der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3) und 4), allerdings ohne Angabe tragfähiger Gründe, für möglich erachtet – bei der Erblasserin keine krankhaften Wahnvorstellungen vorgelegen haben sondern vielmehr eine Psychopathie oder aber lediglich ein nicht krankhafter Altersstarrsinn.

Weiterhin wird das Nachlassgericht auch zu prüfen haben, ob es – gerade auch im Hinblick auf die Frage der Chronifizierung eines möglicherweise bei der Erblasserin bestehenden Wahns – noch weitere Zeugen vernimmt, so insbesondere die medizinisch geschulten Zeugen, wie die sich aus der Betreuungsakte (Amtsgericht Stadt1, Az. …) ergebende dortige Sachverständige SV2, den sich aus der weiteren Betreuungsakte (Amtsgericht Stadt1, Az. …) ergebenden SV4, den sich aus der kopierten Akte des … (Referat Fahrerlaubniswesen) ergebenden SV3, und den sich ebenfalls aus dieser Akte ergebenden SV5, der der Erblasserin unter dem 27.04.2010 ein ärztliches Attest zur Vorlage bei der Führerscheinbehörde erstellt hat, aus dem sich ergibt, dass die Erblasserin an einer milden Ausprägung eines wahnhaften Erlebens im Senium leide, das sich ganz wesentlich auf Vorgänge im häuslichen Umfeld beziehe, und die Fahrtauglichkeit im vorliegenden Fall nicht einzuschränken scheine. Dies gilt aber auch für sonstige, unter anderem auch von den Beteiligten angeführte Zeugen, so den die Erblasserin im zweiten Betreuungsverfahren vertretenden Rechtsanwalt RA1, den Richter im Betreuungsverfahren J, Herrn C oder auch die Nachbarn der Erblasserin, also den Ortsgerichtsvorsteher Z1, sowie Z2 und Frau Z3 (vgl. Bl. 95 der Akte). Allerdings bietet sich insoweit für das Nachlassgericht an, bereits vor der Vernehmung von weiteren Zeugen – die dann in Anwesenheit des Sachverständigen stattfinden sollte, um weitere Nachfragen des Sachverständigen zu ermöglichen, durch die eine bessere Aufklärung der für ihn zur Gutachtenerstellung maßgeblichen Anknüpfungstatsachen erfolgen kann – dem Sachverständigen die Akten bereits zu einer ersten Durchsicht zu überlassen und dabei mitzuteilen, welche Zeugen nach der Absicht des Nachlassgerichts vernommen werden sollen. Der Sachverständige kann sich dann nämlich zuvor noch dazu äußern, dass und warum jedenfalls aus seiner medizinischen Sicht für die Erstellung seines Gutachtens die Ermittlung weiterer Anknüpfungstatsachen durch die Vernehmung von weiteren behandelnden Ärzten oder von sonstigen Zeugen möglicherweise überhaupt nicht erforderlich ist oder aber erforderlich ist.

Eines Ausspruchs über die Gerichtskosten bedarf es angesichts des Erfolgs der Beschwerde nicht, § 25 Abs. 1, § 22 Abs. 1 GNotKG.

Das Nachlassgericht wird auch darüber zu befinden haben, ob eine Erstattung der zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens notwendigen Aufwendungen der Beteiligten stattfinden soll und wer diese gegebenenfalls zu tragen haben wird (vgl. Zimmermann, a.a.O., § 84, Rn. 9; Sternal, a. a. O. § 69 FamFG, Rn. 16, 39a). Es wird auch über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens einschließlich der in dem aufgehobenen Verfahren angefallenen Auslagen zu befinden haben.

Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 61 Abs. 1 S. 1, § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GNotKG (vgl. Senat, Beschluss vom 03.03.2015, Az. 20 W 380/13, zitiert nach juris), wonach für das Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts im Verfahren über die Erbscheinserteilung der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls unter Abzug nur der vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten (§ 40 Abs. 1 S. 2 GNotKG) maßgeblich ist. Mangels konkreter Angaben der Beteiligten, aber im Hinblick darauf, dass sich im Nachlass jedenfalls ein Hausgrundstück in Stadt1 befindet, geht der Senat von einem Nachlasswert in Höhe von 400.000 € aus.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind, § 70 FamFG. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht gegeben, weil das Gesetz eine solche für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht vorsieht.

Rechtsgebiete
FamFG, BGB
Vorschriften
BGB § 2229; BGB § 2358; FamFG § 26; FamFG § 69 Abs. 1

Setzt ein Anspruch des Rentenversicherungsträgers gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind, die weitere Existenz des Kontos des Rentenempfängers voraus?

Quelle: IWW, Erbrecht effektiv, Ausgabe 05/2018

Bundessozialgericht: Beschluss vom 17.08.2017 – B 5 R 26/14 R
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
B 5 R 26/14 R

Dem Großen Senat des Bundessozialgerichts wird folgende Rechtsfrage wegen Divergenz iS von § 41 Abs 2 SGG vorgelegt: Setzt ein Anspruch des Rentenversicherungsträgers gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind, die weitere Existenz des Kontos des Rentenempfängers voraus?

Gründe:

I

1

Der klagende Rentenversicherungsträger (RV-Träger) begehrt die Rücküberweisung von überzahlten Witwenrentenleistungen in Höhe von insgesamt 727,08 Euro, die nach dem Tod der Rentenempfängerin auf deren Konto bei der beklagten Bank überwiesen worden sind.

2

Die Klägerin zahlte der Rentenberechtigten G. Witwenrente in Höhe von 363,54 Euro monatlich, die auf deren Konto bei der Beklagten überwiesen wurde. Die Rentenberechtigte verstarb am 19.11.2009. Hiervon erhielt die Beklagte am 24.11.2009 Kenntnis, wobei nicht mehr feststellbar ist, ob die Kenntniserlangung auf einer Todesanzeige in der Lokalzeitung oder einer mündlichen Information durch einen Angehörigen der Rentenberechtigten beruhte. Die Rentenzahlung für Dezember 2009 ging am 30.11.2009 und die für Januar 2010 am 30.12.2009 auf dem Konto der Rentenberechtigten ein. Neben diesen Gutschriften erfolgten nach dem Tod der Rentenberechtigten verschiedene weitere Kontobewegungen; ua buchte die Beklagte von dem Konto am 30.12.2009 und 27.1.2010 „Abschlusskosten“ in Höhe von 25,85 Euro bzw 5,10 Euro ab. Der Kontostand belief sich zuletzt auf 1138,52 Euro.

3

Diesen Betrag zahlte die Beklagte am 27.1.2010 an die Erbinnen der Rentenberechtigten, deren Töchter H. und G. , aus. Das Konto der Rentenberechtigten wurde am selben Tag gelöscht. Infolge der Kontoauflösung wurden die Rentenzahlungen der Klägerin für die Monate Februar 2010 und März 2010 zurückgebucht.

4

Am 26.3.2010 ging bei der Beklagten ein Rückforderungsverlangen der Deutschen Post (Rentenservice) bezüglich der nach dem Tod der Rentenberechtigten noch geleisteten Witwenrentenzahlungen ein. Dieses Begehren wies die Beklagte unter Berufung auf die zwischenzeitlich erfolgte Auflösung des Girokontos der Rentenberechtigten zurück und teilte der Klägerin die Anschriften der Erbinnen mit.

5

Das SG Oldenburg hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 727,08 Euro zu zahlen (Urteil vom 4.4.2011). Das LSG Niedersachsen-Bremen hat die Berufung der Beklagten zugelassen (Beschluss vom 10.6.2011) und auf dieses Rechtsmittel die Klage unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen (Urteil vom 1.7.2014). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Rücküberweisung der Rentenzahlungen nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI. Zwar seien die Rentenleistungen zu Unrecht erbracht worden; eine Verpflichtung zur Rückzahlung bestehe jedoch nicht, weil über den der Rentenleistung entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt worden sei. Der Wortlaut des § 118 Abs 3 S 3 SGB VI stelle ausdrücklich auf den Eingang der Rückforderung ab und nicht etwa auf einen Zeitpunkt, zu dem das Geldinstitut anderweitig Kenntnis von dem Tod eines Kontoinhabers erlange. Angesichts des eindeutigen Wortlauts und der Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz (Art 20 Abs 3 GG) komme eine abweichende Auslegung nicht in Betracht. Im Übrigen entspreche die wortlautgetreue Auslegung auch dem Willen des Gesetzgebers. Das Geldinstitut solle einen eventuellen wirtschaftlichen Vorteil, den es sich aufgrund der rechtsgrundlosen Rentenüberweisung zu verschaffen vermochte, wieder herausgeben. Es solle aber andererseits durch den beschleunigten Rückruf der Rentenleistung keinen wirtschaftlichen Nachteil befürchten müssen, sondern lediglich als wirtschaftlich unbeteiligter Zahlungsmittler fungieren (BSG Urteil vom 22.4.2008 – B 5a/4 R 79/06 R – SozR 4-2600 § 118 Nr 6). Überdies habe der Gesetzgeber zur Vermeidung von Notlagen einen nahtlosen Übergang von der Versicherten- zur Witwen- bzw Witwerrente ermöglichen wollen. Dem stünde es entgegen, wenn Geldinstitute Verfügungen über eine eingehende Rentenzahlung verhindern müssten. Schließlich sei die Inanspruchnahme des Geldinstituts für den Leistungsträger zwar die einfachste, aber nicht die einzige Möglichkeit, den zu Unrecht überwiesenen Betrag zurückzuerlangen, weil er sich auch an die Erben halten könne.

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 118 Abs 3 S 1 bis 4 SGB VI. Zwar stelle der Wortlaut des § 118 Abs 3 S 3 SGB VI hinsichtlich der Berücksichtigung anderer Verfügungen allein auf den Zeitpunkt des Rückforderungsverlangens ab. Die Frage, ob sich ein Geldinstitut trotz Kenntnis des Todes des Versicherten auf anderweitige Verfügungen berufen könne, sei hiervon jedoch nicht berührt. Denn Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto iS des § 118 Abs 3 S 1 SGB VI überwiesen würden, gälten als unter Vorbehalt erbracht. Es sei daher ausreichend, wenn das Geldinstitut anderweitig Kenntnis vom Tod des Rentenbeziehers erlangt habe. § 118 Abs 3 S 3 SGB VI sei eine Schutzvorschrift zugunsten des Geldinstituts. Ein schutzwürdiges Interesse des Geldinstituts bestehe daher nicht, wenn es bereits vor Erhalt des Rücküberweisungsverlangens Kenntnis vom Tod des Versicherten habe, gleichwohl aber anderweitige Verfügungen zulasse und damit eine Rückgewährung der Rentenzahlungen vereitele. Hinsichtlich der von der Beklagten zu eigenen Gunsten abgebuchten „Abschlusskosten“ in Höhe von 25,85 Euro und 5,10 Euro sei die Rückforderung schon deshalb begründet, weil darin ein Verstoß gegen das Befriedigungsverbot des § 118 Abs 3 S 4 SGB VI liege. Verfügungen zugunsten des Geldinstituts seien keine „anderweitigen“ Verfügungen und jedenfalls im Verhältnis zum RV-Träger unwirksam.

7

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 1. Juli 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 4. April 2011 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II

10

Der 5. Senat legt dem Großen Senat (GrS) des Bundessozialgerichts (BSG) die im Tenor formulierte Rechtsfrage wegen einer beabsichtigten Divergenz iS von § 41 Abs 2 SGG vor.

11

A. Zulässigkeit der Vorlage

12

1. Nach § 41 Abs 2 SGG entscheidet der GrS, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des GrS abweichen will.

13

a) Der 5. Senat beabsichtigt, von dem Urteil des 13. Senats des BSG vom 24.2.2016 (B 13 R 22/15 R – BSGE 121, 18 = SozR 4-2600 § 118 Nr 14) abzuweichen. Die beabsichtigte Abweichung betrifft eine Rechtsfrage revisiblen Rechts iS von § 162 SGG, nämlich die Auslegung des Begriffs „zurückzuüberweisen“ in der bundesrechtlichen Vorschrift des § 118 Abs 3 S 2 SGB VI und die damit verbundenen Rechtsfolgen. Der 13. Senat vertritt in dem og Urteil (aaO, RdNr 34 ff) die Rechtsauffassung, die Auflösung des Kontos, auf das Rentenleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen wurden, führe nicht zum Untergang des Rücküberweisungsanspruchs, weil der Begriff „Rücküberweisung“ nicht bedeute, dass die Verpflichtung des Geldinstituts nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI ausschließlich mittels Ausführung einer Überweisung zulasten des noch bestehenden Kontos des verstorbenen Rentenempfängers erfüllt werden könne. Demgegenüber ist der 5. Senat der Rechtsansicht, dass es dem Geldinstitut nach einer Auflösung des Kontos des verstorbenen Rentenberechtigten unmöglich ist, die überzahlten Rentenleistungen – wie von § 118 Abs 3 S 2 SGB VI angeordnet – zurückzuüberweisen, weil sich die Rücküberweisungspflicht iS von § 118 Abs 3 S 2 SGB VI nur auf dieses Konto bezieht (Beschluss vom 7.4.2016 – B 5 R 26/14 R – Juris RdNr 15 bis 44).

14

b) Die aufgezeigte Rechtsfrage, in der die dargestellten unterschiedlichen Auffassungen bestehen, ist sowohl für das Urteil des 13. Senats vom 24.2.2016 (aaO) als auch für das beabsichtigte Urteil in dem Rechtsstreit B 5 R 26/14 R rechtserheblich.

15

aa) Die Entscheidung des 13. Senats beruht auf dieser Rechtsfrage (vgl zu diesem Erfordernis zB BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2, RdNr 19 f; BSGE 112, 61 = SozR 4-3500 § 90 Nr 5, RdNr 11; BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 22; BSG Beschluss vom 29.6.2016 – B 12 KR 2/15 R – Juris RdNr 26 ff).

16

Der Entscheidung des 13. Senats vom 24.2.2016 lag folgender Sachverhalt zugrunde (aaO, RdNr 1 bis 3): Der klagende RV-Träger begehrte vom beklagten Geldinstitut die Rücküberweisung einer Rentenzahlung. Der Versicherte T. bezog von der Klägerin Altersrente in Höhe von zuletzt monatlich 1188,90 Euro, die auf sein von der Beklagten geführtes Girokonto überwiesen wurde. Nach dessen Tod am 24.1.2012 wurde auch noch die für Februar 2012 bestimmte Rentenzahlung am 31.1.2012 auf diesem Konto gutgeschrieben. Die Beklagte löste das Girokonto am 30.3.2012 in Kenntnis des Todes des Versicherten auf und überwies das Restguthaben in Höhe von 2378,43 Euro an Frau V. Am 5.4.2012 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Rückforderung der zu Unrecht gewährten Rentenleistung in Höhe von 1158,57 Euro geltend. Die Beklagte lehnte eine Rückzahlung ab, weil das Konto bereits vor Eingang des Rückforderungsverlangens aufgelöst worden sei, und gab die Anschrift von V. bekannt, damit sich die Klägerin direkt an diese wenden könne. Das SG hat die Zahlungsklage abgewiesen (Urteil vom 18.2.2014). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG die vorinstanzliche Entscheidung geändert und die Beklagte zur Zahlung von 1158,57 Euro verurteilt (Urteil vom 18.6.2014).

17

Der 13. Senat des BSG hat das Berufungsurteil bestätigt. Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen hat er bejaht und sonstige einer Sachentscheidung entgegenstehende Hindernisse verneint (Urteil vom 24.2.2016, aaO, RdNr 9). Rechtsgrundlage des von der Klägerin geltend gemachten Rückforderungsanspruchs sei § 118 Abs 3 S 2 SGB VI, dessen Voraussetzungen erfüllt seien (aaO, RdNr 11 bis 14). Die Beklagte könne sich auf den anspruchsvernichtenden Einwand der Vornahme anderweitiger Verfügungen noch vor Eingang des Rückforderungsverlangens nach § 118 Abs 3 S 3 Halbs 1 SGB VI nicht mit Erfolg berufen, weil sie bei deren Ausführung Kenntnis vom Tod des Versicherten hatte (aaO, RdNr 15 bis 33). Schließlich führe die Auflösung des Kontos, auf das Rentenleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen wurden, nicht zum Untergang des Rücküberweisungsanspruchs des RV-Trägers gegen das Geldinstitut, weil die weitere Existenz des Kontos, auf das die Rentenleistung überwiesen wurde, nicht unabdingbare Voraussetzung für den Rücküberweisungsanspruch nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI sei (aaO, RdNr 34 bis 44).

18

Hätte der 13. Senat die Auffassung vertreten, dass eine Rücküberweisung iS der vorgenannten Norm ausschließlich durch die Ausführung einer Überweisung zulasten des noch bestehenden Kontos des verstorbenen Rentenempfängers erfüllt werden könne, hätte er den Untergang des Rücküberweisungsanspruchs bejahen und unter Aufhebung des Berufungsurteils die Berufung des klagenden RV-Trägers gegen das klagabweisende SG-Urteil zurückweisen müssen. Der in Beantwortung der aufgezeigten Rechtsfrage zu entwickelnde Rechtssatz ist daher für das Urteil des 13. Senats vom 24.2.2016 (aaO) tragend gewesen.

19

bb) Die aufgezeigte Rechtsfrage ist auch für das im Verfahren B 5 R 26/14 R zu treffende Urteil rechtserheblich.

20

Wie im Einzelnen unter I dargelegt, hat der klagende RV-Träger auch in diesem Rechtsstreit Rentenleistungen für die Zeit nach dem Tod der Berechtigten auf ein von der Beklagten geführtes Girokonto überwiesen. Auch in diesem Fall löste das beklagte Geldinstitut das Konto in Kenntnis des Todes der Berechtigten auf und zahlte (das die Rentenleistungen übersteigende) Restguthaben an die Töchter und Erbinnen der Berechtigten aus. Erst zu einem nach Auflösung des Kontos liegenden Zeitpunkt machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Rückforderung der zu Unrecht gewährten Rentenleistungen geltend, worauf die Beklagte eine Rückforderung unter Hinweis auf die Auflösung des Kontos ablehnte. Das SG hat der Zahlungsklage des RV-Trägers stattgegeben, während das LSG nach Zulassung der Berufung das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen hat. Dabei hat das LSG die Rechtsauffassung vertreten, dass die Verpflichtung zur Rückzahlung nicht bestehe, wenn das Geldinstitut – wie hier – bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig über den der Rentenleistung entsprechenden Betrag verfügt habe, unabhängig davon, ob es bei der Vornahme der Verfügung Kenntnis vom Tod des Kontoinhabers habe.

21

Der 5. Senat beabsichtigt, das Urteil des LSG im Ergebnis zu bestätigen. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.

22

Die vom klagenden RV-Träger erhobene Leistungsklage iS von § 54 Abs 5 SGG ist statthaft. Soweit es um die Rückforderung einer Geldleistung nach § 118 Abs 3 SGB VI geht, stehen sich der RV-Träger und das Geldinstitut, das zur Rücküberweisung aufgefordert wird, in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber, weshalb der Leistungsträger gegenüber dem Bankinstitut nicht hoheitlich handeln, dh seine Rückforderung nicht durch Verwaltungsakt festsetzen darf, sodass ihm nur die Möglichkeit einer Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG zur Verfügung steht (BSG Urteil vom 9.12.1998 – B 9 V 48/97 R – BSGE 83, 176, 177 f = SozR 3-2600 § 118 Nr 4 S 31 = Juris RdNr 15 mwN).

23

Die Berufung und Revision sind ebenfalls statthaft, weil sie vom LSG zugelassen worden sind (Beschluss vom 10.6.2011 und Urteil vom 1.7.2014). Sämtliche Fristen sind gewahrt. Sonstige einer Sachentscheidung entgegenstehende Hindernisse liegen nicht vor.

24

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 118 Abs 3 S 2 SGB VI, dessen Voraussetzungen vorliegen (Beschluss vom 7.4.2016 – B 5 R 26/14 R – RdNr 14). Dem beklagten Geldinstitut ist es jedoch unmöglich, die überzahlten Rentenleistungen zurückzuüberweisen, weil die durch § 118 Abs 3 S 2 SGB VI angeordnete Rücküberweisung nur erfolgen kann, wenn das Konto des verstorbenen Rentenberechtigten noch vorhanden ist (Beschluss vom 7.4.2016, aaO, RdNr 15 bis 44), was hier nicht der Fall ist. Der Anspruch nach dieser Norm ist daher untergegangen. Andere Anspruchsgrundlagen bestehen nicht (Beschluss vom 7.4.2016, aaO, RdNr 45 bis 50). Wäre das ehemalige Rentenkonto noch existent, wäre eine Rücküberweisung zulasten dieses Kontos möglich gewesen und damit der Anspruch des RV-Trägers nicht untergegangen. In diesem Fall wäre das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Der 5. Senat teilt die Rechtsauffassung des LSG, dass die Kenntnis des Geldinstituts vom Tod des Kontoinhabers für dessen Berufung auf das Vorhandensein einer anderweitigen Verfügung über den der Rente entsprechenden Betrag unerheblich sei, nicht. Der 5. Senat ist vielmehr insoweit mit dem 13. Senat der Rechtsansicht, dass sich das Geldinstitut auf den anspruchsvernichtenden Einwand der Vornahme anderweitiger Verfügungen noch vor Eingang des Rückforderungsverlangens nach § 118 Abs 3 S 3 Halbs 1 SGB VI nicht berufen kann, wenn es bei deren Ausführung Kenntnis vom Tod des Rentenberechtigten hatte. Der bei der Beantwortung der Rechtsfrage zu entwickelnde Rechtssatz ist daher für das Urteil im hiesigen Rechtsstreit tragend.

25

2. Ebenso liegen die Voraussetzungen des § 41 Abs 3 S 1 SGG vor.

26

Nach dieser Norm ist eine Vorlage an den GrS nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält.

27

Der 5. Senat hat mit Beschluss vom 7.4.2016 (aaO) beim 13. Senat angefragt, ob er an der Rechtsauffassung festhalte, dass ein Anspruch des RV-Trägers gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind, nicht die weitere Existenz des Kontos des Rentenempfängers voraussetzt. Der 13. Senat hat dies mit Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – bejaht.

28

B. Beurteilung der vorgelegten Rechtsfrage

29

§ 118 Abs 3 SGB VI in der hier maßgeblichen, in der Zeit vom 1.3.2004 bis 8.4.2013 geltenden Fassung des 3. Gesetzes zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 27.12.2003 (BGBl I 3019) lautet wie folgt:

S 1: Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut im Inland überwiesen wurden, gelten als unter Vorbehalt erbracht.

S 2: Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung zurückzuüberweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordern.

S 3: Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann.

S 4: Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden.

30

Die in § 118 Abs 3 S 2 SGB VI angeordnete Rücküberweisung zu Unrecht erbrachter Geldleistungen kann nur erfolgen, wenn das Rentenkonto noch vorhanden ist. Die Rücküberweisungspflicht der Norm bezieht sich entgegen der Rechtsansicht des 13. Senats nur auf das Rentenkonto (so bereits Urteil des 5. Senats vom 3.6.2009 – B 5 R 120/07 R – BSGE 103, 206 = SozR 4-2600 § 118 Nr 10, RdNr 27). Hierfür spricht der Wortlaut der Bestimmung (dazu 1.), systematische Erwägungen (dazu 2.) sowie die Entstehungsgeschichte der Norm in Verbindung mit der sich hieraus ergebenden gesetzgeberischen Zielsetzung (dazu 3.). Sonstiger Sinn und Zweck der Norm stehen dem nicht entgegen (dazu 4.).

31

1. Entgegen der Ansicht des 13. Senats (Urteil vom 24.2.2016 – B 13 R 22/15 R – BSGE 121, 18 = SozR 4-2600 § 118 Nr 14 = Juris RdNr 36 und Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – RdNr 9) ergibt sich aus dem Begriff „zurückzuüberweisen“ in § 118 Abs 3 S 2 SGB VI bzw „Rücküberweisung“ in § 118 Abs 3 S 3 SGB VI, dass allein „das Überweisungskonto betroffen ist“ bzw die Rückführung des der Rente entsprechenden Betrages nur von dem Rentenüberweisungskonto vorzunehmen ist. (Geld-)Überweisen bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch, (einen genau angegebenen Geldbetrag) zulasten eines Kontos einem bestimmten anderen Konto gutschreiben lassen (vgl Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache Bd 9, 3. Aufl 1999, S 4042; ders, Das Bedeutungswörterbuch Bd 10, 4. Aufl 2010, S 961; Gabler, Lexikon, Recht in der Wirtschaft, 1998, S 943). Der Begriff „zurücküberweisen“ bezeichnet unzweifelhaft den actus contrarius zum Begriff „überweisen“ und bedeutet demnach, den überwiesenen Geldbetrag von dem Konto, dem er gutgeschrieben worden ist, auf das Konto zurückzuführen, das ursprünglich mit diesem Betrag belastet worden ist.

32

Für dieses Verständnis spricht ebenfalls die im Duden (Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl 2010, S 1134) zum Stichwort „zurück- (trennbares verbales Bestimmungswort)“ angegebene Erläuterung „1.a) wieder zum Ausgangspunkt hin, in den Ausgangszustand 4. drückt aus, dass man mit dem im Basiswort genannten Tun auf gleiche Art reagiert, dass dieses Tun eine gleichartige Erwiderung ist“. Eine gleichartige Erwiderung auf das im Basiswort genannte Tun, das „Überweisen“, bedeutet, diesen Vorgang auf gleiche Art rückabzuwickeln, und damit einen Rücktransfer von dem zunächst begünstigten Konto auf das zunächst belastete Konto vorzunehmen.

33

Aus der Begriffserläuterung des Duden Online-Wörterbuchs (Stichwort „zurücküberweisen“: eine bereits überwiesene Summe auf das Konto des Absenders zurückzahlen) ergibt sich dagegen nicht zwingend das Erfordernis eines Rücktransfers des fehlgeleiteten Geldbetrages von dem ursprünglich begünstigten auf das ursprünglich belastete Konto. Angesichts der vom Duden insofern vernachlässigten Berücksichtigung seiner eigenen Erläuterung des Begriffs „zurück“ im Sinne einer gleichartigen Erwiderung auf das im Basiswort genannte Tun erweist sich indes die Erklärung des Begriffs „zurücküberweisen“ im Duden Online-Wörterbuch als zu ungenau, um hieraus belastbar das Wortverständnis des 13. Senats stützen zu können, wonach sich aus diesem Begriff kein Hinweis darauf ergebe, welches Konto für die Rücküberweisung in Anspruch zu nehmen sei.

34

Angesichts des dargelegten Wortsinns des Begriffs „zurücküberweisen“ erschließt sich dem 5. Senat die Auffassung des 13. Senats nicht, der 5. Senat berücksichtige bei der von ihm vertretenen Norminterpretation „Umstände“, die im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden hätten (Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – RdNr 10).

35

2. Systematische Erwägungen bestätigen das hier vertretene Ergebnis.

36

a) Eine Beschränkung des Rücküberweisungsvorgangs auf das Rentenüberweisungskonto ergibt sich zunächst aus dem Zusammenhang der Sätze 1 bis 3 des § 118 Abs 3 SGB VI.

37

aa) § 118 Abs 3 S 2 SGB VI ermächtigt das Geldinstitut, auf die dem Empfängerkonto gutgeschriebenen (Renten-)Beträge zuzugreifen und sie zurückzuführen. Die wesentliche Grundlage für diesen Zugriff der Bank enthält § 118 Abs 3 S 1 SGB VI, der die Rentenleistungen, „die auf ein Konto bei einem Geldinstitut im Inland überwiesen wurden“, mit einem gesetzlichen Vorbehalt belegt. Dieser verhindert einen Übergang des Rentenbetrags in die Rechtssphäre des Kontoinhabers und hat die materielle Rechtswidrigkeit jeder Verfügung über den Rentenbetrag (außer der Rücküberweisung an den RV-Träger) zur Folge (vgl Urteil des Senats vom 3.6.2009 – B 5 R 120/07 R – BSGE 103, 206 = SozR 4-2600 § 118 Nr 10, RdNr 23). Da sich § 118 Abs 3 S 1 SGB VI schon dem Wortlaut nach allein auf das vom Rentenempfänger dem RV-Träger angegebene Konto beziehen kann (Urteil des Senats vom 3.6.2009, aaO, RdNr 17) und der in dieser Norm verortete Vorbehalt die Rückzahlung der Rentenleistung legitimiert, kann sich auch die Rücküberweisungspflicht nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI ausschließlich auf das Rentenüberweisungskonto beziehen (Urteil des Senats vom 3.6.2009, aaO, RdNr 17; aA 13. Senat Urteil vom 24.2.2016 – B 13 R 22/15 R – aaO, Juris RdNr 43).

38

Hierfür spricht auch das Verhältnis zwischen § 118 Abs 3 S 2 und 3 SGB VI. Diese Vorschriften stehen in einem Grundsatz-Ausnahme-Ausnahmeverhältnis: Nach S 2 ist das Geldinstitut grundsätzlich zur Rücküberweisung verpflichtet. Nach S 3 Halbs 1 gilt dies (ausnahmsweise) dann nicht, wenn über den der Rente entsprechenden Betrag bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn (Ausnahme zur Ausnahme), dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann (Halbs 2 aaO). Sowohl S 3 Halbs 1 als auch S 3 Halbs 2 beziehen sich ausschließlich auf das Rentenüberweisungskonto (Urteil des Senats vom 3.6.2009, aaO, RdNr 17; Urteil des 9. Senats vom 1.9.1999 – B 9 V 6/99 R – BSGE 84, 259, 261 = SozR 3-2600 § 118 Nr 5 S 43 f).

39

Zur Bedeutung des Guthabenbegriffs in § 118 Abs 3 S 3 Halbs 2 SGB VI hat der Senat in der Entscheidung vom 3.6.2009 (aaO, RdNr 17) ausgeführt, dass das Gesetz nur das Guthaben auf dem Konto gemeint haben kann, auf das die Rente überwiesen wurde. Dies folge zum einen daraus, dass anderweitige Verfügungen iS des § 118 Abs 3 S 3 Halbs 1 SGB VI mit Rücksicht auf den Begriff „Rücküberweisung“ nur das Überweisungskonto betreffen könnten, sodass sich die Ausnahmeregelung des § 118 Abs 3 S 3 Halbs 2 SGB VI ebenfalls nur auf das Überweisungskonto beziehen kann. Denn als Ausnahme von der in § 118 Abs 3 S 3 Halbs 1 SGB VI genannten Regel könne die Regelung in Halbs 2 keinen weiteren Anwendungsbereich haben (so auch Urteil des 9. Senats vom 1.9.1999 – B 9 V 6/99 R – BSGE 84, 259, 262 = SozR 3-2600 § 118 Nr 5 S 44; vgl auch Buschmann, SGb 2000, 231). Zum anderen folge dies bereits aus dem Wortlaut des § 118 Abs 3 S 1 SGB VI, wonach nur die auf ein Konto überwiesenen Rentenzahlungen unter einen Vorbehalt gestellt würden. Diese Regelung könne sich allein auf das vom Rentenempfänger dem RV-Träger angegebene Konto beziehen. Ein Zugriff des Geldinstituts auf andere Konten des Rentenberechtigten würde hingegen als Eingriff in die Rechte der Erben bzw Sonderrechtsnachfolger eine eindeutige gesetzliche Ermächtigung voraussetzen; eine derart weitgehende Befugnis sei jedoch nicht normiert worden. Dieses im Lichte der Rechte der Erben bzw Sonderrechtsnachfolger verfassungsrechtlich gebotene Verständnis des § 118 Abs 3 S 3 Halbs 1 und 2 SGB VI ist allgemein verbindlich und damit auch in Sachverhaltskonstellationen zu beachten, bei denen es nicht um (Grund-)Rechte der angesprochenen Personenkreise geht.

40

Die Ausnahme-Ausnahme-Regelung des S 3 kann aber keinen anderen Anwendungsbereich als die grundsätzliche Regelung in S 2 haben, deren Gegenstand wiederum allein die Rückforderung von Geldleistungen der in S 1 abschließend umschriebenen Art ist.

41

bb) Allgemein systematische Überlegungen führen ebenfalls zu einer Beschränkung des Rücküberweisungsvorgangs auf das Rentenüberweisungskonto.

42

Die vorliegend in Frage stehende Rückabwicklung einer dem Konto der Verstorbenen noch gutgeschriebenen Rentenzahlung stellt sich als actus contrarius zum ursprünglichen Zahlungsvorgang dar und gehorcht folglich dessen Vorbedingungen (vgl bereits Urteil des Senats vom 3.6.2009, aaO). Die Überweisung auf ein dem RV-Träger bekanntes Konto des Berechtigten ist auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung der Regelzahlweg (KomGRV, Stand März 2014, § 47 SGB I RdNr 3). Der Empfänger der Rentenleistung konkretisiert insofern in Ausübung seiner Rechte aus § 33 S 1 SGB I das Konto, auf das die Leistung überwiesen werden soll. Sofern der Wunsch des Empfängers angemessen ist, hat ihm der Leistungsträger nach S 2 aaO zu folgen (vgl BSG SozR 1200 § 47 Nr 1). Die kontoführende Bank wird auf diese Weise an dem öffentlich-rechtlichen Sozialrechtsverhältnis des Leistungsempfängers ebenso wenig beteiligt wie der RV-Träger an dessen privatrechtlicher Beziehung zum Geldinstitut. RV-Träger und Geldinstitut treten vielmehr nach der zutreffenden Auffassung auch des 13. Senats nur dadurch in rechtliche Beziehungen zueinander, dass der Versicherte dem RV-Träger gemäß § 47 SGB I das Geldinstitut als Überweisungsadresse benennt, an die der RV-Träger nach öffentlichem Recht (§§ 118 Abs 1, 119 SGB VI) „seine Rente“ überweisen muss (BSG SozR 4-2600 § 118 Nr 9 RdNr 58). Damit gilt auch insofern, dass die Bank des Überweisungsempfängers im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr regelmäßig als bloße Leistungsmittlerin, dh als Zahlstelle des Überweisungsempfängers handelt und als solche in keinerlei Leistungsverhältnis zu dem Überweisenden steht, sodass sie grundsätzlich auch nicht in die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einer Fehlüberweisung eingebunden ist (BGH vom 5.12.2006 – XI ZR 21/06 – BGHZ 170, 121, Juris RdNr 10). Ebenso wie sich die – ohne eigenes Zutun erlangte – Funktion des Geldinstituts bei der Überweisung auf dessen Eigenschaft als Leistungsmittler beschränkt, kann ihm auch bei der „Rücküberweisung“ eine von diesem Konto unabhängige Funktion nicht zukommen.

43

b) Die gegen die systematischen Erwägungen des 5. Senat erhobenen Einwendungen des 13. Senats im Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – vermögen nicht zu überzeugen.

44

aa) So führt der 13. Senat (aaO, RdNr 19) aus, die vom 5. Senat vertretene Rechtsansicht, dass der Vorbehalt einen Übergang des Rentenbetrages in die Rechtssphäre des Kontoinhabers verhindere, bedeute zugleich, dass der vom Rentenservice überwiesene Geldbetrag in der Rechtssphäre – und damit wohl Vermögenssphäre – des kontoführenden Geldinstituts verblieben sei, weswegen dieses auch nach der Anordnung des § 118 Abs 3 S 2 SGB VI primär zur Zurücküberweisung der Rentenzahlung an den RV-Träger verpflichtet sei.

45

Diesen Überlegungen ist nicht beizutreten.

46

Die Rechtsansicht des 13. Senats setzt voraus, dass der überwiesene Rentenbetrag vor Weiterleitung auf das Konto des Rentenempfängers in die Rechts- bzw Vermögenssphäre des Geldinstituts gelangt. Im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr handelt die Bank des Zahlungsempfängers indes – wie bereits dargelegt – regelmäßig als bloße Leistungsmittlerin, dh als Zahlstelle des Überweisungsempfängers und steht als solche in keinem Leistungsverhältnis zu dem Überweisenden, sodass ihre eigene Rechts- und Vermögenssphäre grundsätzlich nicht betroffen ist. Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten soll, bestehen nicht. Insbesondere lässt sich derartiges nicht aus den zahlungsdiensterechtlichen Regelungen des BGB ableiten, selbst wenn sie anwendbar wären. § 675t Abs 1 BGB, der bezogen auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation das Rechtsverhältnis zwischen Geldinstitut und Rentenempfänger/Erbe beträfe, bestimmt, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers verpflichtet ist, dem Zahlungsempfänger den Zahlungsbetrag unverzüglich verfügbar zu machen, nachdem er auf dem Konto des Zahlungsdienstleisters eingegangen ist. Das Vermögen der Bank wird demnach ausweislich der genannten Norm nicht berührt (vgl auch Escher-Weingart, SGb 2017, 135, 136 Fn 5). Das Geldinstitut ist auch insoweit reine „Zahlstelle“ des Empfängers (Sprau in Palandt, BGB, 73. Aufl 2014, § 675t RdNr 3 und § 675f RdNr 28). Ein „Verbleiben“ des überwiesenen Geldbetrages in der Rechtssphäre des kontoführenden Geldinstituts (im Sinne einer Vermögensvermehrung) ist daher mit der Wirkung des Vorbehalts nicht verbunden. Dieses bleibt vielmehr auch im Fall einer zu Unrecht überwiesenen Rentenleistung vermögensmäßig unbeteiligter Zahlungsmittler und hat – soweit die Voraussetzungen des § 118 Abs 3 SGB VI vorliegen – den Rentenbetrag an den RV-Träger von dem Konto des Rentenempfängers zulasten des Vermögens der Erben zurückzuüberweisen.

47

bb) Der 13. Senat (aaO, RdNr 20) führt des Weiteren aus, der 5. Senat habe unzutreffenderweise erklärt, die Rechtsauffassung des 13. Senats erfordere einen „Zugriff“ des Geldinstituts auf andere Konten des Rentenberechtigten als das Rücküberweisungskonto. Die insoweit in Bezug genommenen Ausführungen des 5. Senats (im Beschluss vom 7.4.2016 RdNr 20, entsprechend den obigen Ausführungen unter II B. 2. a) aa) Abs 3) befassen sich mit der Bedeutung des Vorbehalts und seinem ausschließlichen Bezug auf das Rentenüberweisungskonto. Die angestellten Erwägungen dienen der Erläuterung des Inhalts des S 3, der seinerseits aus systematischen Gründen Inhalt und Anwendungsbereich des S 2 mitbestimmt. Darin liegt nicht die Behauptung, die Rechtsauffassung des 13. Senats erfordere den Zugriff des Geldinstituts auf andere Konten des Rentenberechtigten. Hierum geht es ersichtlich nicht. Für die Auslegung des S 2 ist allein die sich aus dem Zusammenhang der S 1 bis 3 ergebende Erkenntnis maßgeblich, dass mangels entsprechender gesetzlicher Ermächtigung die Überweisung des fehlgeschlagenen Rentenbetrages an den RV-Träger von keinem anderen Konto als dem Rentenüberweisungskonto vorgenommen werden darf, und damit entgegen der Auffassung des 13. Senats auch nicht von einem eigenen Konto des Geldinstituts (so aber Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – RdNr 17). Angesichts der Ausführungen in RdNr 17 des Beschlusses vom 14.12.2016 (aaO) ist für den 5. Senat im Übrigen die in RdNr 20 dieses Beschlusses vertretene Rechtsansicht nicht verständlich, die Rechtsauffassung des 13. Senats erfordere keine „Zugriffsmöglichkeit“ auf eigene Konten des Geldinstituts.

48

cc) Ebenso wenig kann der Annahme des 13. Senats (aaO, RdNr 20; ähnlich auch die Ausführungen in RdNr 24) beigetreten werden, das Geldinstitut müsse auch nach Ansicht des 5. Senats einen Rücküberweisungsanspruch des RV-Trägers ggf aus eigenem Vermögen bedienen, wenn das Geldinstitut in Kenntnis des Todes des Rentenempfängers weitere Verfügungen zulasse, die zu einem Kontostand unterhalb des Betrages der zu Unrecht gutgeschriebenen Rente führen. Der 13. Senat verkennt, dass in diesem Fall – bei weiter bestehendem Rentenkonto – die Erben des verstorbenen Rentenempfängers, die in den Kontoführungsvertrag des Verstorbenen eintreten, für das durch die Rücküberweisung des Betrages ggf im Minussaldo stehende Konto aufzukommen haben, die Rücküberweisung also zulasten des Erbenvermögens erfolgt.

49

Sollte der Erbe insolvent sein oder die Erbschaft ausschlagen, fällt das Geldinstitut zwar mit seiner aus dem Kontoführungsvertrag resultierenden Forderung auf Ausgleich des Kontos aus. Dieses im Rechtsverhältnis zwischen dem kontoführenden Geldinstitut und dem neuen Kontoinhaber bzw Erben bestehende Risiko betrifft aber eine andere Rechtsbeziehung als die hier streitige zwischen dem RV-Träger und dem kontoführenden Geldinstitut und vermag daher zur Auslegung von Normen, die dieses Rechtsverhältnis regeln, nichts beizutragen.

50

dd) Der 13. Senat (aaO, RdNr 20) beruft sich ferner für seine Rechtsauffassung, dass nach der gesetzlichen Konzeption des § 118 Abs 3 SGB VI das Geldinstitut mit eigenem Vermögen haften müsse, auf S 4 dieser Bestimmung. Die Regelung zur Unbeachtlichkeit der Befriedigung eigener Forderungen des Geldinstituts führe dazu, dass dieses für eine von ihm geschuldete Rücküberweisung ggf zunächst eigenes Vermögen einsetzen müsse und damit belastet sei, auf eigenes Risiko von den Erben des ursprünglichen Kontoinhabers hierfür Erstattung zu erlangen.

51

Auch diese Erwägungen mögen aus der Sicht des 5. Senats nicht zu überzeugen.

52

Das den Geldinstituten in S 4 auferlegte Verbot, den überwiesenen Betrag zur Befriedigung eigener Forderungen zu verwenden, besagt zunächst nur, dass die zu Unrecht überwiesene Rentenleistung nicht durch Aufrechnung mit eigenen Forderungen der Geldinstitute reduziert werden darf. Im Rahmen der Rücküberweisung nach § 118 Abs 3 S 2 SGB VI bewirkt dieses Verbot, dass eine gleichwohl erfolgte Aufrechnung wirkungslos ist und den entsprechenden zurückzuüberweisenden Betrag nicht schmälern kann; das Geldinstitut muss sich in den Fällen der Befriedigung eigener Forderungen im Verhältnis zum RV-Träger so behandeln lassen, als ob sich der verfügte Betrag noch auf dem Konto befände (Urteil des Senats vom 3.6.2009 – B 5 R 65/07 R – Juris RdNr 17). Hierin erschöpft sich die Regelungswirkung des S 4. Das Selbstbefriedigungsverbot wirkt sich mithin lediglich im Rahmen der Rücküberweisungspflicht des S 2 aus. Unter welchen Voraussetzungen diese besteht, ist dem Verbot des S 4 nicht zu entnehmen, sodass entgegen der Auffassung des 13. Senats (Urteil vom 24.2.2016 – B 13 R 22/15 R – BSGE 121, 18 = SozR 4-2600 § 118 Nr 14 = Juris RdNr 36) insbesondere offenbleibt, warum die Durchsetzung der Norm „zwingend“ ein Konto in eigener Verfügungsbefugnis der Bank erfordern sollte. S 4 ist auch kein allgemeines Schutzgesetz zugunsten des Vermögens des RV-Trägers mit der Folge einer daraus abzuleitenden Schadensersatzpflicht nach dem Muster des § 823 Abs 2 BGB zu entnehmen (Urteil des Senats vom 3.6.2009 – B 5 R 65/07 R – Juris RdNr 30).

53

ee) Darüber hinaus führt der 13. Senat (Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – RdNr 21 bis 24) aus, dass die Auffassung des 5. Senats, die zivilrechtlich-bankrechtlichen Beziehungen zwischen dem Geldinstitut und dem Kontoinhaber würden von § 118 Abs 3 SGB VI verdrängend überlagert, an eine ältere Rechtsprechung anknüpfe, wohingegen eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Grundlage in den Blick zu nehmen sei, insbesondere das zum 31.10.2009 neu geregelte Zahlungsdiensterecht im BGB, das entsprechend den auf eine Vollharmonisierung abzielenden europarechtlichen Vorgaben grundlegend umgestaltet worden sei. Hiernach dürfe den öffentlich-rechtlichen Sonderregelungen in § 118 SGB VI nur insoweit Vorrang vor den Bestimmungen des Zahlungsdiensterechts zukommen, als dies zur Erreichung ihres Zwecks erforderlich und mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar sei. Unter Berücksichtigung dessen erscheine es problematisch, entgegen den allgemeinen zahlungsdiensterechtlichen Regelungen zur erforderlichen Autorisierung eines jeden Zahlungsvorgangs (§ 675j BGB) ein unmittelbares Zugriffsrecht des Geldinstituts auf das Konto des Rentenempfängers bzw seiner Rechtsnachfolger anzunehmen und von dessen weiterem faktischen Bestehen der Existenz des Rücküberweisungsanspruchs gemäß § 118 Abs 3 S 2 SGB VI abhängig zu machen.

54

Abgesehen davon, dass diese Erwägungen methodisch nicht unbedenklich sein dürften, sieht der 5. Senat keinen Konflikt zwischen § 675j BGB und § 118 Abs 3 SGB VI.

55

Das Zahlungsdiensterecht des BGB verbietet eine Überweisung unter Vorbehalt nicht nur nicht (so auch 13. Senat Urteil vom 24.2.2016 – B 13 R 22/15 R – BSGE 121, 18 = SozR 4-2600 § 118 Nr 14 = Juris RdNr 23), sondern regelt diese ausdrücklich überhaupt nicht. Dementsprechend sind §§ 675c bis 676c BGB (idF des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29.7.2009 – BGBl I 2355) auf eine Überweisung unter Vorbehalt nicht anwendbar. Das Instrumentarium der Normen „passt“ auf eine Überweisung unter Vorbehalt nicht. Dies zeigt sich etwa an der in § 675p BGB geregelten Unwiderruflichkeit eines Zahlungsauftrags. Die Regelung kann nur Bedeutung entfalten, wenn ein wirksamer Zahlungsauftrag vorliegt. Dies ist bei einer Überweisung unter Vorbehalt aber nicht stets der Fall. Der 5. Senat ist mit dem 13. Senat der Auffassung, dass eine Überweisung unter Vorbehalt eine Überweisung unter einer auflösenden Bedingung darstellt, die kraft Gesetzes bewirkt, dass eine ggf noch vor dem Todeszeitpunkt des Rentners für den Folgemonat vorgenommene Rentengutschrift ihre materiell-rechtliche Wirksamkeit wieder verliert bzw eine erst nach dem Tod des Rentners erfolgte Gutschrift von vornherein nicht wirksam wird (Urteil des 13. Senats vom 24.2.2016, aaO, RdNr 19 mwN).

56

Insbesondere aber „passt“ die von § 675j Abs 1 BGB geforderte Autorisierung eines Zahlungsvorgangs durch den Zahler im hier maßgeblichen Zusammenhang nicht. Eine Autorisierung der Rücküberweisung der fehlgeschlagenen Rente zulasten des Kontos des verstorbenen Rentenempfängers durch Zustimmung des jetzigen Kontoinhabers würde Sinn und Zweck des § 118 Abs 3 S 1 SGB VI geradezu konterkarieren. Der Vorbehalt in § 118 Abs 3 S 1 SGB VI ist normiert worden, um einen Zugriff der Bank auf das Erbenvermögen ohne Einverständnis des Erben zu rechtfertigen (so auch Escher-Weingart, SGb 2017, 135, 139 Fn 49; vgl auch Anl 10 der Ausschuss-Drucks 11/1303 S 67 iVm S 68). Der 13. Senat verkennt, dass § 118 Abs 3 SGB VI bezüglich des Zugriffsrechts auf den der Rente entsprechenden Betrag eine spezielle öffentlich-rechtliche Regelung ist, die nach wie vor als Sonderrecht des Staates die privatrechtlichen, bankenrechtlichen Beziehungen zwischen dem Geldinstitut und dem jeweiligen Kontoinhaber aufgrund des Vorbehalts iS von § 118 Abs 3 S 1 SGB VI verdrängend überlagert (vgl nur BSG Urteil vom 13.12.2005 – B 4 RA 28/05 R – SozR 4-2600 § 118 Nr 2 – Juris RdNr 16). Dementsprechend ist die hierzu ergangene Rechtsprechung nach wie vor aktuell.

57

Angesichts der fehlenden Anwendbarkeit insbesondere des § 675j Abs 1 BGB sind die im Zusammenhang mit dieser Norm erfolgten Erwägungen des 13. Senats zur Stornobuchung (Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – Juris RdNr 17) ohne Relevanz. Da die Bank unzweifelhaft das Konto des verstorbenen Rentners mit der Rückerstattung der überzahlten Rente belasten darf, kommt es auf ein Stornorecht bzw eine Stornobuchung der Bank nicht an (so auch Escher-Weingart, SGb 2017, 135, 137).

58

Träfe im Übrigen die Annahme des 13. Senats zu und wäre eine Rücküberweisung der fehlgeschlagenen Rente ohne Autorisierung des Zahlungsvorgangs nach § 675j Abs 1 BGB unzulässig, wäre § 118 Abs 3 S 2 SGB VI insgesamt obsolet. Denn dann wäre auch bei ausreichender Deckung des Kontos eine Rücküberweisung ohne Zustimmung des Kontoinhabers nicht möglich. Die Norm würde vollständig ihres Sinns entkleidet.

59

Art 86 Abs 1 der Richtlinie 2007/64 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt steht der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht entgegen. Die angestrebte vollständige Harmonisierung gilt nur für die Bereiche, in denen die Richtlinie harmonisierte Bestimmungen enthält. Die Richtlinie enthält indes keine Regelung über eine Überweisung unter Vorbehalt, verbietet diese insbesondere nicht.

60

3. Dass sich die Rücküberweisungspflicht des § 118 Abs 3 S 2 SGB VI nur auf das Rentenkonto bezieht, wird zudem durch die Entstehungsgeschichte der Norm gestützt. Die zum 1.1.1982 zwischen den Spitzenverbänden der Kreditinstitute und den Spitzenverbänden der Rentenversicherungs- und Unfallversicherungsträger geschlossene Vereinbarung 1982 („Vereinbarung 1982“ – abgedruckt bei von Einem, SGb 1988, 484) verpflichtete das Geldinstitut nur zur Freigabe der Rentenüberweisung, die zuvor dem Überweisungskonto gutgeschrieben wurde (vgl hierzu ausführlich BSGE 84, 259, 261 = SozR 3-2600 § 118 Nr 5 S 43 f). Der Werdegang des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18.12.1989 (BGBl I 2261) bestätigt dieses Ergebnis. Der „Diskussions- und Rentenentwurf eines Rentenreformgesetzes 1992“ (Stand: 9.11.1988) sah ursprünglich noch folgende Regelung vor (vgl § 119 Abs 3 S 2 Entwurf):

„Die überweisende Stelle und der Träger der Rentenversicherung gelten insoweit als berechtigt, über das Konto zu verfügen.“

61

Diese Regelung betraf ersichtlich nur das Überweisungskonto. Nachdem der Zentrale Kreditausschuss Bedenken in Bezug auf den damit möglichen Eingriff in das Eigentum des Kontoinhabers (ohne dessen Einwilligung und ohne vollstreckbaren Titel) erhoben hatte, sollten die nach dem Tod des Rentenberechtigten geleisteten Geldzahlungen unter Vorbehalt gestellt werden, mit der Folge, dass die genannte Regelung in § 119 Abs 3 S 2 des Entwurfs entfiel. Zugleich wurde vorgeschlagen, eine Verpflichtung zur Rücküberweisung dann zu verneinen, wenn über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt worden sei, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen könne (vgl hierzu die schriftliche Stellungnahme des parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Horst Seehofer, gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestags, Ausschuss-Drucks 11/1303, Anl 10 S 67 f). Diese Vorschläge wurden vom Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung übernommen. Zur Begründung wurde ausgeführt (Ausschussbericht vom 3.11.1989, BT-Drucks 11/5530 S 46 zu § 119):

„Die Änderung verdeutlicht, daß Rentenbeträge, die nach dem Tode von Rentnern deren Erben gutgeschrieben wurden, unter dem Vorbehalt der Rückforderung stehen. Damit soll den Bedenken Rechnung getragen werden, die von seiten der Banken aufgrund der bisherigen Fassung des Absatzes 3 erhoben wurden. Inhaltlich entspricht die Regelung nach wie vor der geltenden Praxis.“

62

In Anbetracht insbesondere des letzten Satzes dieses Zitats erweist sich die Annahme des 13. Senats (Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – RdNr 15; s auch Urteil vom 24.2.2016 – B 13 R 22/15 R – BSGE 121, 18 = SozR 4-2600 § 118 Nr 14 = Juris RdNr 40), dass die Neuformulierung der Vorschrift gegenüber dem Ausgangsentwurf gegen die Beibehaltung der bisherigen Verfahrensweise spreche, als irrig. Das Gegenteil ist der Fall. Anhaltspunkte dafür, dass nun auch andere Konten bei dem Geldinstitut von der Rücküberweisungspflicht betroffen sein sollten, lassen sich der Begründung gerade nicht entnehmen (vgl hierzu Urteil des Senats vom 3.6.2009, aaO, RdNr 18 ff, 20 zu § 118 Abs 3 S 3 Halbs 2 SGB VI).

63

Eine „Änderung der Regelungstechnik“ hat im vorliegend in Frage stehenden Zusammenhang schon im Blick auf das ausdrückliche Begehren des Zentralen Kreditausschusses, eine gesicherte Zugriffsbefugnis gerade im Blick auf das Eigentumsrecht des Kontoinhabers zu erlangen, nur insofern stattgefunden, als die nach der „Vereinbarung 1982“ noch erforderliche Ermächtigung durch den Versicherten statt durch eine gesetzliche Fiktion der Verfügungsberechtigung durch den gesetzlichen Vorbehalt ersetzt wurde, der in das geltende Recht Eingang gefunden hat. Ein Wechsel des Zugriffsobjekts ist hiermit nicht verbunden und ist während der Beratungen auch nicht andeutungsweise angesprochen worden.

64
Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass den RV-Trägern eine Zugriffsmöglichkeit auf eigene Konten der Geldinstitute und damit deren Vermögen eingeräumt werden sollte.

65

Die Vorgängerregelung von § 118 Abs 3 SGB VI, die „Vereinbarung 1982“, begründete erstmalig Ansprüche der RV-Träger gegenüber den Geldinstituten auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die nach dem Tod des bisherigen Leistungsberechtigten auf dessen Konto überwiesen wurden (vgl hierzu ausführlich BSG vom 9.12.1998 – B 9 V 48/97 R – BSGE 83, 176 = SozR 3-2600 § 118 Nr 4). In dieser verpflichteten sich die verbandsangehörigen Banken, überzahlte Renten (wiederkehrende Leistungen), die für Bezugszeiten nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden waren, „unter Verzicht auf eine Aufrechnung mit eigenen Forderungen freizugeben“ (vgl Nr 1 der „Vereinbarung 1982“). Nach Nr 2 der „Vereinbarung 1982“ verminderte sich der freizugebende Betrag „um sämtliche nach Eingang der Rentenüberweisung vorgenommenen Verfügungen, die das Kreditinstitut zugelassen bzw ausgeführt hat“. Als Verfügung galt „auch die Ausführung eines noch vom Rentenberechtigten selbst (zB Dauerauftrag) sowie eines von dessen Erben bzw Bevollmächtigten erteilten Auftrags“ (vgl hierzu BSG vom 9.12.1998 – B 9 V 48/97 R – BSGE 83, 176, 178 ff = SozR 3-2600 § 118 Nr 4 S 33 ff). Das Geldinstitut sollte sich danach keinen wirtschaftlichen Vorteil kraft seiner faktischen Zugriffsmöglichkeit auf die zu Unrecht geleistete Rente verschaffen können, andererseits aber auch keinen wirtschaftlichen Nachteil befürchten müssen, sondern nur die Beträge zurückführen, die nach Abzug aller Verfügungen noch auf dem Konto vorhanden waren. Das Geldinstitut sollte mithin lediglich als wirtschaftlich unbeteiligter Zahlungsmittler fungieren (Urteil des Senats vom 3.6.2009, aaO, RdNr 31; Urteil des Senats vom 22.4.2008 – B 5a/4 R 79/06 R – SozR 4-2600 § 118 Nr 6 RdNr 20).

66

Mit dem Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 (BGBl I 2261) wollte der Gesetzgeber an die zuvor geübte Praxis anknüpfen und diese „aus rechtsstaatlichen Erwägungen“ auf eine gesetzliche Grundlage stellen (BT-Drucks 11/4124 S 179). Ziel war es, die von dem Geldinstitut und RV-Trägern vor 1992 geübte Verfahrensweise verbindlich zu regeln und vorzuschreiben. Es sei insoweit nochmals darauf hingewiesen, dass der Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 3.11.1989 (Drucks 11/5530 S 47 zu § 119 Abs 3) ausführt: „Inhaltlich entspricht die Regelung nach wie vor der geltenden Praxis.“ Ebenso heißt es in der Erläuterung des BMA: „Die Regelung entspricht der bisherigen Praxis.“ (Anl 10 der Ausschuss-Drucks 11/1303 S 65) und „§ 119 Abs 3 soll daher die bisher fehlende gesetzliche Regelung schaffen und die derzeitige Praxis auf eine für alle Beteiligten transparente Rechtsgrundlage stützen.“ (aaO S 66). Der 5. Senat möchte insofern hervorheben, dass die gesetzliche Regelung entgegen der Darstellung des 13. Senats (Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – RdNr 16) die bisherige Praxis nicht nur „im Ergebnis“ fortführen sollte, sondern die zitierten Gesetzesmaterialien ohne jede Einschränkung eine Übereinstimmung der gesetzlichen Regelung mit der bisherigen Praxis betonen.

67

Dieses Normverständnis entspricht auch der Rechtsprechung des 9. Senats, der ausgeführt hat, dass nach dem Willen des Gesetzgebers „die bisherige Praxis aus rechtsstaatlichen Erwägungen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und fortgeschrieben“ werden sollte (BSGE 83, 176, 179 f = SozR 3-2600 § 118 Nr 4 S 33 f). Damit geht der 9. Senat ebenfalls davon aus, dass mit der Einführung der gesetzlichen Regelung kein Wechsel im Zugriffsobjekt verbunden ist. Der gleichzeitige Hinweis des 9. Senats auf eingeführte Neuerungen steht dem nicht entgegen. Hiermit sind lediglich das Entfallen der (in der Erklärung der Spitzenverbände des Kreditgewerbes zur Vereinbarung 1982 geforderten) Voraussetzung, dass dem RV-Träger die Einwilligung des Berechtigten in die Rückübertragung vorliegen müsse, und die Einführung des Vorbehalts gemeint (vgl BSGE 83, 176, 179 f = SozR 3-2600 § 118 Nr 4 S 33 f).

68

Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber einen Verstoß der Geldinstitute gegen den Vorbehalt mit deren Pflicht, den Rentenbetrag in diesem Fall aus eigenem Vermögen erstatten zu müssen, sanktionieren wollte (zustimmend Escher-Weingart, SGb 2017, 135, 138 Fn 38). Vielmehr geht auch das gesetzgeberische Ziel (ua nicht „vorrangig“ wie der 13. Senat (Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – RdNr 27) den 5. Senat fälschlich versteht) dahin, die Geldinstitute lediglich als wirtschaftlich unbeteiligte Zahlungsmittler in die Rückabwicklung fehlgeschlagener Rentenüberweisungen einzubinden.

69

Demgegenüber ist der 13. Senat (Beschluss vom 14.12.2016 – B 13 R 20/16 S – RdNr 28) der Auffassung, den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren sei nicht zu entnehmen, dass der historische Gesetzgeber das genannte Ziel mit der Regelung des § 118 Abs 3 SGB VI verfolgt habe. Die Stellungnahme des BMA gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung lasse vielmehr hinreichend erkennen, dass mit der von ihm vorgeschlagenen und so Gesetz gewordenen Fassung des § 118 Abs 3 SGB VI nicht beabsichtigt gewesen sei, „allein den Rentenversicherungsträgern das Risiko dafür aufzuerlegen, daß die Banken Rentenzahlungen stets auch zugunsten der Erben gutschreiben, und zwar auch dann, wenn sie von dem Tod des Rentners positiv Kenntnis haben“ (Ausschuss-Drucks 11/1303 Anl 10 S 66).

70

Auch diesen Überlegungen kann nicht gefolgt werden. Das vom 13. Senat bemühte Zitat gibt nichts für die zwischen den Senaten streitige Rechtsfrage her, ob die Rücküberweisungspflicht auf das Rentenkonto beschränkt ist oder die Bank im Fall der Auflösung des Kontos für die Rücküberweisung mit eigenem Vermögen haften muss. Dies zeigt eine Betrachtung des Zitats in seinem Zusammenhang.

71

In dem Absatz, in dem der zitierte Teilsatz aufgeführt ist, wird thematisiert, wer im Fall des Todes des Rentners und einer gleichwohl noch überwiesenen Rente das Überzahlungsrisiko trägt. Es wird darauf hingewiesen, was die Banken eigentlich tun müssten, um den höchstpersönlichen Charakter der Rente strikt zu beachten und ihr eigenes Risiko zu verringern, was für alle Beteiligten jedoch unzumutbar sei. Danach folgt der Satz: „Ebenso problematisch wäre es allerdings auch, allein den Rentenversicherungsträgern das Risiko dafür aufzuerlegen, daß die Banken Rentenzahlungen stets auch zu Gunsten der Erben gutschreiben, und zwar auch dann, wenn sie von dem Tod des Rentners positiv Kenntnis haben.“

72

Der Absatz macht also deutlich, dass weder den Banken noch den RV-Trägern allein das Überzahlungsrisiko aufgebürdet werden soll. Wie die Risikobereiche voneinander abzugrenzen sind, wird dann im nachfolgenden Absatz unter Hinweis auf die „Vereinbarung 1982“ beschrieben: „Die Rentenversicherungsträger haben sich darin verpflichtet, eine Rückerstattung zu Lasten des Kontos der Erben nur dann zu verlangen, wenn der Rentner zu Lebzeiten mit Wirkung für seine Erben darin eingewilligt hat (dies geschieht in der Praxis in dem Antrag auf unbare Rentenzahlung). Sie akzeptieren damit incidenter, daß die Banken die Renten auf dem angegebenen Konto auch dann gutschreiben, wenn der Rentner bereits verstorben ist. Im Gegenzug dazu haben sich die Banken verpflichtet, die überzahlten Renten unter Verzicht auf eine Aufrechnung mit eigenen Forderungen (der Banken) zurückzuüberweisen, soweit über die entsprechenden Beträge noch nicht verfügt wurde.“

73

Dass die Bank für die Rückführung der Rente mit eigenem Vermögen haften soll, ist dem nicht zu entnehmen.

74

4. Sonstiger Sinn und Zweck stehen dem hier vertretenen Normverständnis nicht entgegen.

75

Zwar ist Ziel des in § 118 Abs 3 SGB VI geregelten Anspruchs gegen das Geldinstitut auch sicherzustellen, dass zu Unrecht gezahlte Rentenleistungen schnell und vollständig zurückgeführt werden sollen, um die Solidargemeinschaft der Versicherten vor finanziellen Nachteilen zu bewahren (Urteil des Senats vom 3.6.2009 – B 5 R 65/07 R – Juris RdNr 28 mwN). Indessen sagt dieses Normziel allein nichts darüber aus, welche Konsequenzen eintreten sollten, wenn diese Rückführung auf dem gesetzlich vorgegebenen Weg misslingt. Insbesondere rechtfertigt sich hieraus nicht – gegen Wortlaut, Systematik und sonstige gesetzgeberische Zielsetzung – sachlich-logisch eine Haftung der Geldinstitute mit eigenem Vermögen.

76

Der in § 118 Abs 3 S 1 SGB VI geregelte gesetzliche Vorbehalt ist nach der Konzeption des Gesetzes nicht etwa allein auf eine Umsetzung mit Hilfe des in Abs 3 geregelten Anspruchs angewiesen. Die durch § 118 Abs 3 S 1 SGB VI verfügte Belegung der Rentengutschrift mit einem Vorbehalt trägt dem Umstand Rechnung, dass die Rente ihrer höchstpersönlichen Natur entsprechend nur für den Rentner selbst bestimmt ist, demzufolge mit seinem Tod endet (§ 102 Abs 5 SGB VI, § 39 Abs 2 SGB X) und zum Beginn des auf den Todesmonat folgenden Kalendermonats eingestellt werden müsste, dies aber technisch regelmäßig nicht möglich ist (Kreikebohm, SGB VI, 5. Aufl 2017, § 118 RdNr 25). Unabhängig von seiner systematischen Stellung beschränkt sich der persönliche Anwendungsbereich der Regelung nicht lediglich auf die in § 118 Abs 3 S 1 SGB VI genannten Geldinstitute und bildet tatbestandlich eine wesentliche Grundlage für den gegen diese gerichteten Anspruch, sondern betrifft ebenso die von Abs 4 aaO erfassten Personen – Empfänger, Verfügende und Erben (vgl BSG vom 4.8.1998 – B 4 RA 72/97 R – BSGE 82, 239, 248 f = SozR 3-2600 § 118 Nr 3 S 25 f), gilt also umfassend. Die sich aus der Anwendung von § 118 Abs 3 S 1 SGB VI für Geldinstitute ergebende Pflicht zur Rücküberweisung (§ 118 Abs 3 S 2 SGB VI) repräsentiert folglich im Blick auf den sich aus Abs 4 ergebenden Erstattungsanspruch gegen die sonstigen Betroffenen nur einen Teil der sich aus dem Vorbehalt ergebenden Rechtsfolgen. Unter anderem für Fälle der vorliegend in Frage stehenden Art, in denen das kontoführende Geldinstitut trotz Kenntnis vom Tod des Rentenempfängers durch die Auflösung des Kontos und Auszahlung des gesamten Kontovermögens an die Erben die Rückführung des Rentenbetrags nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben vereitelt, bedarf es daher von vornherein keiner „Erweiterung“ von § 118 Abs 3 S 2 SGB VI. Hiervon ist bisher auch der 13. Senat ausgegangen, der im Anschluss an den Beschluss des 5a. Senats vom 22.4.2008 (B 5a R 120/07 R – Juris) selbst ausgeführt hat, dass dem Geldinstitut nach der gesetzgeberischen Zielsetzung und dem Gesetzeswortlaut („zurückzuüberweisen“) keine Rückzahlungspflicht aus eigenem Vermögen auferlegt werden darf (vgl Urteil vom 5.2.2009 – B 13 R 87/08 R – SozR 4-2600 § 118 Nr 8 RdNr 26).

77

Da nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen anerkannten Auslegungsgrundsätze zu dem vom 5. Senat vertretenen Normverständnis führen, handelt es sich entgegen der Auffassung des 13. Senats (Urteil vom 24.2.2016 – B 13 R 22/15 R – aaO, Juris RdNr 32) auch nicht um eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 118 Abs 3 S 2 SGB VI (vgl hierzu BVerfG (Kammer) Beschluss vom 19.8.2011 – 1 BvR 2473/10 ua – Juris RdNr 21).
Rechtsgebiet
SGB 6
Vorschriften
§ 118 Abs. 3 S. 1 SGB 6, § 118 Abs. 3 S. 2 SGB 6, § 118 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 SGB 6, § 118 Abs 3. S 3. Halbs 2. SGB 6, § 118 Abs. 3 S. 4 SGB 6

Keine Sachleistung für im Ausland lebende Rentner aus der privaten Pflegeversicherung

Sozialgericht Düsseldorf: Urteil vom 16.07.2017 – S 5 P 281/13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Düsseldorf

S 5 P 281/13

Tenor:

Die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

1

Tatbestand:

2

Der Kläger ist Rentner und lebt dauerhaft in Spanien. Er ist bei der Beklagten privat pflegepflichtversichert (Allgemeine Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung -Bedingungsteil MB/PPV 2017-, im Tarif PVN -versicherte Personen ohne Anspruch auf Beihilfe-). Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung von Sachleistungen in Spanien hat.

3

Hierzu wandte er sich mit Schreiben vom 02.09.2013 an die Beklagte und bat diese zu bestätigen, dass er im Versicherungsfall nach dem Tarif PVN Pflegesachleistung im europäischen Ausland erhalten werde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 28.09.2006, Az. B 3 P 3/05 R, erhielten beihilfeberechtigte Personen im Tarif PVB Leistungen nach den gleichen Grundsätzen wie bei Pflegebedürftigkeit im Inland. Eine Ungleichbehandlung im Tarif PVN sei sachlich nicht gerechtfertigt.

4

Die Beklagte teilte dem Kläger durch Schreiben 06.09.2013 mit, bei anerkannter Pflegebedürftigkeit würde Personen, die ihren Wohnsitz in einem Land des Europäischen Wirtschaftsraumes bzw. in die Schweiz verlegt haben, Pflegegeldzahlung geleistet und damit ins Ausland transferiert. Demgegenüber sei eine Erstattung von Sachleistungen (z.B. von Rechnungen eines Pflegedienstes, Hilfsmittelrechnungen oder Pflegeheimrechnungen) in diesem Fall nicht möglich. Die Leistungsunterscheidung zu Versicherten in Deutschland beruhe auf den Artikeln 19 Abs. 1 Buchst. a und 25 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 1408/71 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Danach stünden Arbeitnehmern und Selbstständigen Leistungen des europäischen Staates zu, indem sie sich aufhalten. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 05.03.1998, Rechtssache C -160/96 (Molenaar- Urteil), bestünden für Versicherte in der sozialen Pflegeversicherung bei ständigem Wohnsitz im europäischen Ausland ein Pflegegeldanspruch weiter. Dem habe die private Pflegepflichtversicherung sich angeschlossen. Nach dieser Entscheidung seien für Arbeitnehmer und Selbstständige im europäischen Ausland nur Pflegegeld- und Rentenbeitragszahlungen möglich. Dies gelte auch für Rentner, die Arbeitnehmer oder selbstständig waren.

5

Der Kläger vertrat weiter die Auffassung, Anspruch auf Erstattung von Pflegesachleistungen nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006 zu haben, weil das Gericht ausgeführt habe, dass die dortigen Grundsätze in Bezug auf Sachleistungen nicht nur für Beamte mit entsprechendem Versorgungssystem, sondern auch für diesen gleichgestellten Personen gelte. Anderenfalls läge ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Grundgesetz (GG) vor. Entsprechend habe die Beklagte ihren Tarif anzupassen.

6

In einem weiteren Schreiben vom 28.11.2013 verwies die Beklagte erneut auf die Bestimmungen der VO 1408/71 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006, Az. B 3 P 3/05, trage nur dem Umstand Rechnung, dass die zitierten Bestimmungen in der VO 1408/71 (EWG) aufgrund eines für Deutschland geltenden Vorbehalts nicht für solche und gleichgestellte Personen gelte, die gegenüber einem Versorgungssystem für Beamte in Bezug auf Sachleistungen anspruchsberechtigt und nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Von daher sei im Tarif PVN weiterhin nur die Zahlung von Pflegegeld möglich.

7

Am 09.12.2013 hat der Kläger Klage erhoben.

8

Der Kläger wiederholt sein Vorbringen aus dem vorgerichtlichen Verfahren. Er vertritt unter anderem die Auffassung, die Beklagte müsse dem oben genannten Urteil des Bundessozialgerichts auch im Tarif PVN Rechnung tragen, da auch die dort privat pflegepflichtversicherten Personen keine Versicherten der gesetzlichen Pflegeversicherung seien, so dass es sich um gleichgestellte Personen nach dem Tarif PVB handele. Im Falle seiner Pflegebedürftigkeit hätte er sonst gravierende finanzielle Nachteile zu erwarten, die seine gesamte Lebensplanung, sich im südlichen Europa aus gesundheitlichen Gründen aufzuhalten, negativ beeinflussten. Ein anderes privates Pflegepflichtversicherungsunternehmen habe seiner dort versicherten Ehefrau die Umsetzung des Urteils des BSG im Tarif PVN bestätigt. Der Kläger sieht weiterhin einen Verstoß gegen Art. 3 GG und sieht sich, sollte die Beklagte sich weiterhin weigern, Pflegesachleistung zu erstatten, in seiner freien Entfaltung seiner Persönlichkeit und Freizügigkeit beeinträchtigt. Die Sachleistung hätte den doppelten Wert im Vergleich zum Pflegegeld. Die Auffassung der Beklagte widerspreche dem Solidaritätsgedanken der sozialen Pflegeversicherung und lasse eine Absicherung des versicherten Risikos nicht mehr zu. Zur Stützung seines Vorbringens überreicht er in Kopie die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Verfassungsgemäßheit von § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI vom 17.09.2013. Ferner macht der Kläger geltend, er sei gegenwärtig zwar nicht pflegebedürftig, der Fall könnte jedoch durch unvorhersehbare Ereignisse in seinem Alter jederzeit eintreten.

9

Der Kläger beantragt nach seinem erkennbaren Interesse,

10

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auch bei einem dauernden Auslandsaufenthalt in Spanien die Kosten für Pflegesachleistungen zu erstatten.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Sie hält die Klage für unzulässig, der Kläger sei nicht pflegebedürftig und begehre lediglich die abstrakte Feststellung, so dass es am Feststellungsinteresse mangele.

14

Die Klage sei jedoch auch unbegründet.

15

Die Beklagte habe den Kläger mit Schreiben vom 28. 2013 06.09.2013 mitgeteilt, dass sie bei Wohnsitzverlegung in ein Land des europäischen Wirtschaftsraumes bzw. in die Schweiz und Vorliegen der Voraussetzungen Pflegegeld- und Rentenbeitragszahlungen leisten werde, insofern habe sie ihre Versicherungsbedingungen noch nicht angepasst. Sachleistungen seien dagegen nach § 5 Abs. 1 Buchst. a MB/PPV, der § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI entspreche, ausgeschlossen, solange sich versicherte Personen im Ausland aufhalten. Nach den Art. 19 Abs. 1 Buchst. a und b, 25 Abs. 1a und b, 28 Abs. 1a und b der VO 1408/71 erhielten Arbeitnehmer, Selbstständige, Rentner und Arbeitslose bei Vorliegen der Voraussetzungen Sachleistungen vom Wohnortsozialversicherungsträger für Rechnung des zuständigen Trägers. Die Entscheidung des BSG im Urteil vom 28.09.2006 betreffe Ruhestandsbeamte, da sie nicht, aufgrund eines Deutschland betreffenden Vorbehalts, auf Sachleistungen des Sozialversicherungsträgers am Wohnort verwiesen werden könnten. Als Rentner unterfalle der Kläger nicht diesem Personenkreis. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht gegeben, da es sich nicht um gleiche Sachverhalte handele. Das Versorgungssystem für Beamte stelle einen anderen Sachverhalt dar, der auf den Kläger nicht zuträfe. Dieser Auffassung würde von der Aufsichtsbehörde BaFin geteilt. Mittlerweile habe auch das Versicherungsunternehmen gegenüber der Ehefrau des Klägers klargestellt, dass es keine Sachleistungen ins Ausland erbringt.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte vollinhaltlich verwiesen.

17

Entscheidungsgründe:

18

Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Die Kammer bejaht das Feststellungsinteresse im vorliegenden Fall. Der Kläger hat mit Blick auf sein Alter als Rentner aber auch hinsichtlich der Unwägbarkeiten, ob und wann er pflegebedürftig wird, ein Feststellungsinteresse hinsichtlich der Frage, ob ihm die Beklagte bei dauernden Auslandsaufenthalt Sachleistungen im Versicherungsfall. Zu erstatten hat.

19

Die Klage ist jedoch unbegründet.

20

Die Beklagte hat es mit zutreffender Begründung abgelehnt, dem Kläger die Erstattung von Pflegesachleistungen in das europäische Ausland, hier Spanien, zuzusagen.

21

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006, Az. B 3 P 3/05, für den Kläger nicht einschlägig ist. Der Kläger geht offensichtlich rechtsirrig davon aus, dass er zu dem im Urteil erwähnten „gleichgestellten Personenkreis“ zählt, weil er nicht Mitglied der gesetzlichen Pflegeversicherung ist. Dies ist jedoch unzutreffend. Die Formulierung des „gleichgestellten Personenkreis“ bezieht sich auf solche Personen, die wie Beamte in einem Versorgungssystem für Beamte versichert sind. Allein für Beamte und hinsichtlich des Versorgungssystems für Beamte gleichgestellte Personen ist das Urteil insofern von Relevanz und nicht für sämtliche privat pflegepflichtversicherten Personen, wie es fälschlicherweise der Kläger sieht. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor. Art 3 Abs.1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. hierzu BVerfGE 71, 146, 154f m.w.N.). Maßgeblicher Bezugspunkt für die Prüfung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist also die Frage, ob eine Personengruppe gegenüber einer anderen ohne hinreichenden sachlichen Grund unterschiedlich behandelt wird (BVerfGE 78, 232,247). Wie die Beklagten zutreffend ausgeführt hat, liegen bei Ruhestandsbeamten und diesen gleichgestellte Personen, die in einem System für Beamte versichert sind, gewichtige Unterschiede hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen gegenüber den sonstigen privat oder gesetzlich pflegepflichtversichert Personen vor. Auf die Ausführungen im Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.09.2006 und in den Schriftsätzen der Beklagten wird insoweit Bezug genommen.

22

Der Leistungsumfang der privaten Krankenversicherungsunternehmen bestimmt sich hinsichtlich der Pflegeversicherung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XI. Danach muss der Vertrag über die private Pflegeversicherung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht Vertragsleistungen vorsehen, die nach Art und Umfang im Leistungen des Vierten Kapitels des SGB XI gleichwertig sind, wobei nach S. 3 der Vorschrift an die Stelle der Sachleistungen eine der Höhe nach gleiche Kostenerstattung tritt.

23

Dementsprechend erhalten aus der privaten Pflegepflichtversicherung auch die Versicherten, die ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der EU, des EWR oder der Schweiz haben, Leistungen wie gesetzlich Versicherte. Insofern hat sich auch keine Änderung durch die VO 883/2004, die die VO 1408/71 abgelöst hat und die das Risiko der Pflegebedürftigkeit in Art. 34 ausdrücklich erfasst, ergeben. Daraus folgt, dass das Pflegegeld nach § 4 Abs. 2 MB/PPV 2017 uneingeschränkt an Versicherte mit Wohnsitz im EU-Ausland zu transferieren ist. Es liegt damit eine Ausnahme gegenüber dem grundsätzlichen Ruhen der Leistungspflicht nach § 5 Abs. 1a S. 1 MB/PPV 2017 vor. Diesen Leistungsanspruch hat die Beklagte auch ausdrücklich anerkannt. Demgegenüber ist ein Anspruch auf Pflegesachleistungen, bzw. auf den entsprechenden Erstattungsanspruch, nicht exportfähig. Wie der EuGH in seinem Urteil vom 16.07.2009, Rechtssache C-208/07 (Chamier-Glisczinski), bestätigt hat, werden Sachleistungen grundsätzlich nur nach den Vorschriften des Wohnortstaates auf Rechnung des Leistungsträgers im Rahmen der Sachleistungsaushilfe erbracht. Für den Fall, dass der Wohnortstaates entsprechende Leistungen nicht vorsieht, können diese Leistungen nicht vom Versicherungsträger beansprucht werden (vergleiche dazu KassKomm/Leitherer § 34 SGB XI Rn. 7 m.w.N.).

24

Ein Verstoß gegen Grundrechte ist damit nicht gegeben. Dies gilt insbesondere für Art. 3 Abs. 1 GG. Das dem Art. 3 Abs. 1 Gesetz innewohnende Willkürverbot (vgl. BVerfGE 97, 271, 291) ist nicht verletzt. Als sachlicher Grund für die Leistungsbegrenzung der Pflegesachleistungen sind die auf das Inland begrenzten Kontrollmöglichkeiten der Leistungsvoraussetzungen sowie die Qualitätskontrolle zu nennen (vergleiche dazu a.a.O. Rn. 6).

25

Soweit der Kläger sich in seiner Freizügigkeit beeinträchtigt sieht, ist darauf hinzuweisen dass Art. 11 GG allein die Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik Deutschland schützt. Die Begründung eines dauernden Aufenthaltes in einem Mitgliedstaat der EU kann hinsichtlich der sozialen Absicherung Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringen, die der Betroffene hinzunehmen hat, wenn, wie hier der Fall, europarechtliche Vorschriften nicht verletzt werden.

26

Anlass, das Verfahren zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH auszusetzen, sieht die Kammer nicht. Die rechtserheblichen Fragen des Europarechts sind insoweit geklärt.

27

Die Klage konnte damit keinen Erfolg haben.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG
Rechtsgebiet
Pflegeversicherung

Das Landesblindengeld ist bei der Beitragsbemessung für die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung nicht zu berücksichtigen

Sozialgericht Mainz: Urteil vom 11.07.2017 – S 14 KR 197/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Mainz

Urt. v. 11.07.2017

Az.: S 14 KR 197/17

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 wird betreffend den Krankenversicherungsbeitrag für Dezember 2016 aufgeboben und ab Januar 2017 insoweit abgeändert als der monatliche Krankenversicherungsbeitrag auf 299,57 Euro festgesetzt wird. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung des Landesblindengeldes bei den Krankenversicherungsbeiträgen.

Die Klägerin ist als Physiotherapeutin bei der Beklagten gegen das Risiko der Krankheit freiwillig versichert. Sie übersandte am 12. November 2015 den Einkommenssteuerbescheid 2014. Daraus ergab sich ein Bruttoeinkommen in Höhe von 27.024 Euro.

In einer Einkommensauskunft, die am 9. September 2016 bei der Beklagten einging, gab die Klägerin neben den Jahreseinkommen wie im Einkommenssteuerbescheid ausgewiesen Versorgungsbezüge in Höhe von 529,50 Euro an. Daraufhin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 14. September 2016 den Versorgungsbezugsbescheid an. Mit Schreiben vom 23. September 2016 forderte die Beklagte den Blindengeldbescheid an.

Mit einem Schreiben, das bei der Beklagten am 12. Oktober 2016 einging, teilte die Klägerin mit, dass der Steuerbescheid für 2015 noch nicht vorliege. Sie übersandte eine Liste der Einnahmen bis zum 31. September 2016 mit einer Gesamtsumme von 20.133,90 Euro.

Mit Schreiben vom 9. November 2016 forderte die Beklagte erneut den Blindengeldbescheid an und kündigte an, im Falle der Nichtvorlage den Beitrag aus einem monatlichen Einkommen von 4.237,50 Euro, d.h. der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, zu berechnen.

Die Klägerin antwortete mit Schreiben, das am 14. November 2016 bei der Beklagten einging, nach Rücksprache mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband sei Blindengeld nicht anrechenbar. Mit weiterem Schreiben, das am 16. November 2016 bei der Beklagten einging, übersandte sie einen Bescheid der Kreisverwaltung Mainz-Bingen vom 13. Januar 1997, wonach die Klägerin zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz in Höhe von monatlich 529,50 Euro erhält.

Mit Schreiben, das am 14. Dezember 2016 bei der Beklagten einging, übersandte die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2015, der für sie ein Bruttoeinkommen von 23.807 Euro auswies.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2016 berechnete die Beklagte den monatlichen Krankenversicherungsbeitrag ab 1. Dezember 2016 aus 4.237,50 Euro (= monatliche Beitragsbemessungsgrenze) und legte ihn auf 639,86 Euro fest. Als Grund hierfür gab die Beklagte die fehlende Einreichung von Unterlagen an.

Nach einer Vorsprache des Ehemanns der Klägerin bei der Beklagten legte diese am 5. Januar 2017 Widerspruch gegen den Bescheid ein und legte den Steuerbescheid 2015 vor.

Mit Schreiben vom 12. Januar 2017 forderte die Beklagte erneut einen aktuellen Bescheid zum Landesblindengeld sowie einen Nachweis für die Höhe des Zuflusses an. In einer ergänzenden E-Mail vom 17. Januar 2017 erläuterte die Beklagte, dass der vorliegende Blindengeldbescheid sehr alt sei, und man einen Nachweis der aktuellen Höhe benötige. Sie erläutert, dass nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler das Blindengeld bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen sei.

Mit Bescheid vom 17. Januar 2017 ersetzte die Beklagte den „bisherigen Bescheid“ und legte den Krankenversicherungsbeitrag für den Dezember 2016 und Januar 2017 auf 420,01 Euro und ab Februar 2017 auf 379,59 Euro fest. Für die Berechnung der Beiträge ab Dezember 2016 habe man den Einkommenssteuerbescheid 2014 und den Blindengeldbescheid vom 13. Januar 1997 zu Grunde gelegt.

Mit weiterem Bescheid vom 20. Januar 2017 legt die Beklagte den Krankenversicherungsbeitrag ab Januar 2017 auf 420,01 Euro fest.

Mit Schreiben vom 24. Januar 2017 bestellte sich der Klägervertreter und wies auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Januar 2016 (L 11 KR 888/15) hin.

Gegen den Bescheid vom 17. Januar 2017 und gegen den Bescheid vom 20. Januar 2017 legte die Klägerin am 15. Februar 2017 Widerspruch ein.

Sie beanstandet, dass nicht der Einkommenssteuerbescheid von 2015 sondern derjenige von 2014 zu Grunde gelegt worden sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen die Bescheide vom 29. Dezember 2016, 17. Januar 2017 und 20. Januar 2017 mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2017 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 25. April 2017 Klage erhoben. Sie vertieft ihre Argumente aus dem Verwaltungsverfahren. Sie übersendet ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (L 5 KR 313/15) und das Anerkenntnis einer Krankenkasse in einem anderen Verfahren.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2016 sowie der Folgebescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 den Krankenkassenbeitrag der Klägerin ohne Berücksichtigung des ihr monatlich gewährten Landesblindengeldes zu bemessen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der Verwaltungsakte und ihres Widerspruchsbescheids.

Mit Schriftsätzen vom 20. Juni 2017 und 21. Juni 2017 haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

Das Gericht hat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage im Sinne einer reinen Bescheidände- rung (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) zulässig.

Das Begehren der Klägerin ist allein auf die Nichtberücksichtigung des Blindengeldes bei der Beitragsbemessung gerichtet. Das Gericht hat zu diesem Zweck das Einkommen anhand des letztbekannten Einkommenssteuerbescheids zu berücksichtigen.

Streitgegenstand sind nach dem Klageantrag allein die Krankenversicherungsbeiträge und nicht die Pflegeversicherungsbeiträge. Dies ist auch zutreffend, da die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid keine Entscheidung über die Pflegeversicherungsbeiträge im Namen der Pflegekasse der A., die der Widerspruchsausschuss nach § 10 der Satzung der Pflegekasse der A. zu treffen hatte, getroffen hat. Dies hätte der ausdrücklichen Erwähnung bedurft. Der Widerspruchsausschuss wollte, so der Wortlaut des Bescheids, allein gemäß § 29 Satzung A. handeln. Der Widerspruch, der am 5. Januar 2017 einging, ist jedoch nicht auf Krankenversicherungsbeiträge beschränkt, so dass der Widerspruchsausschuss hier noch eine Entscheidung im Auftrag der Pflegekasse zu treffen haben wird. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten hat im Widerspruchsbescheid vom 28. März 2017 zutreffend erkannt, dass die Bescheide vom 17. und 20. Januar 2017 nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens wurden und der Bescheid vom 17. Januar 2017 den Bescheid vom 29. Dezember 2016 vollständig „auf andere Weise“ erledigt hat (§ 39 Abs. 2 SGB X). Streitgegenständlich ist daher zumindest für den Monat Dezember 2016 der Bescheid vom 17. Januar 2017 und der Bescheid vom 20. Januar 2017, wobei zu prüfen ist, ob dieser den Bescheid vom 17. Januar 2017 seinerseits ab Januar 2017 „auf andere Weise“ erledigt hat (§ 39 Abs. 2 SGB X). Warum die ausreichend im Sozialverwaltungsrecht geschulten Mitarbeiter der Beklagten regelmäßig nicht die zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung geben sondern wie auch hier stets auf einen möglichen Telefonkontakt verweisen wollen und dadurch die Versicherten zu sinnlosen Widerspruchsschreiben bringen, ist für die erkennende Kammer nicht nachvollziehbar.

Die Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 ist im Umfang des Tenors rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Das Gericht hatte ihn daher insoweit abzuändern.

Bei dem Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 handelt es sich um einen Änderungsbescheid zum Bescheid vom 29. Dezember 2016. Diese Änderung kann sich auf § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X stützen.

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte musste die Klägerin nicht anhören. Sie hat zwar zutreffend im Widerspruchsbescheid erkannt, dass die Klägerin vor Erlass des Bescheides nach § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören gewesen wäre, da kein Ausnahmefall des § 24 abs. 2 SGB X vorlag. Insbesondere wurde auch zu Ungunsten von Angaben der Klägerin abgewichen, da nicht der Einkommenssteuerbescheid 2015 sondern der Einkommenssteuerbescheid 2014 der Beitragsberechnung im Januar 2017 zu Grunde lag. Durch den Widerspruch der Klägerin, in dem sie sich mit allen wesentlichen Aspekten auseinandersetzte, ist jedoch eine Heilung i.S.d. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X eingetreten.

Der Bescheid ist materiell rechtswidrig und war daher teilweise aufzuheben bzw. abzuändern.

Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Der Bescheid vom 29. Dezember 2016 war rechtswidrig. Die Beklagte durfte ihn nicht auf § 240 Satz 2 zweiter HS SGB V stützen. Danach gilt als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223), sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen. Die Klägerin hatte jedoch bis zum 29. Dezember 2016 alle notwendigen Nachweise vorgelegt. Sie hatte sowohl den Einkommenssteuerbescheid 2015 als auch den Bescheid aus 1997 über Blindengeld, dessen Höhe die Beklagte im Übrigen auch aus dem Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz ersehen konnte, vorgelegt.

Die Beklagte hat daher zu Recht den Bescheid vom 29. Dezember 2016 durch Bescheid vom 17. Januar 2017 aufgehoben und eine korrigierte Entscheidung über die Höhe des monatlichen Krankenversicherungsbeitrags getroffen.

Die Korrektur der Höhe des Krankenversicherungsbeitrags war jedoch insoweit rechtswidrig und aufzuheben, als sie es für Dezember 2016 nicht bei der Aufhebung belassen hat. Dies stellt einen Verstoß gegen § 6 Abs. 6 i.V.m § 7 Abs. 7 Satz 3, 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler dar, wonach die Neuregelung frühestens ab Beginn des auf die Ausfertigung des aktuellen Einkommenssteuerbescheids folgenden Monats möglich ist. Dies war, da der aktuelle Einkommenssteuerbescheid 2015 vom 9. Dezember 2016 datiert, der 1. Januar 2017. Das Gericht geht davon aus, dass die Beitragshöhe für Dezember 2016 nach voriger Bescheidlage unter 420,01 Euro liegt und insofern in der Aufhebung keine reformatio in peius liegen kann.

Die Korrektur der Höhe des monatlichen Krankenversicherungsbeitrags ab Januar 2017 war insoweit rechtswidrig und abzuändern, als sie 299,57 Euro überstieg Die Klägerin ist als freiwilliges Mitglied der Beklagten beitragspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 223 SGB V). Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V bzw. § 57 Abs. 4 SGB XI i.V.m. § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt (Satz 2, 1. Halbsatz). Nach § 3 Abs. 1 der vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen erlassenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler vom 27. Oktober 2008, zuletzt geändert am 10. Dezember 2014sind beitragspflichtige Einnahmen das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf die steuerliche Behandlung. Zu berücksichtigen sind auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 3 Abs. 1b der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler). Nach § 5 Abs.1 und 2 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler werden die beitragspflichtigen Einnahmen jeweils dem Monat der Mitgliedschaft, für den Beiträge zu zahlen sind, zugeordnet (Beitragsmonat). Das Arbeitseinkommen und Einkünfte aus Vermietung/Verpachtung sind dem jeweiligen Beitragsmonat mit einem Zwölftel des aus dem vorliegenden aktuellen Einkommensteuerbescheid zu entnehmenden Jahresbetrags zuzuordnen. Die Einnahmen sind nach § 3 Abs. 1 Satz 3 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abzugrenzen; eine die beitragspflichtigen Einnahmen mindernde Berücksichtigung von Zwecksetzungen einzelner Einnahmen findet nicht statt (vgl. auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03. Dezember 2015 – L 5 KR 84/15 -, Rn. 13, […]). Nach § 6 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler erfolgt der Nachweis von Arbeitseinkommen durch den aktuellen Einkommenssteuerbescheid. Nach § 6 Abs. 6 i.V.m § 7 Abs. 7 Satz 3, 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler ist der neue Einkommenssteuerbescheid ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen, wenn sich nicht durch Berücksichtigung im auf die Vorlage folgenden Monat eine günstigere Beitragsbemessung ergäbe.

Nach diesem Maßstab ist zunächst ein Zwölftes des Bruttojahreseinkommens, wie im Einkommenssteuerbescheid 2015 festgestellt, als Bemessungsgrundlage für den monatlichen Krankenversicherungsbeitrag ab Januar 2017 zu berücksichtigen. Pro Monat ergibt sich aus dem Einkommenssteuerbescheid 2015 ein Einkommen von 1.983,92 Euro, so dass der monatliche Beitrag bei einem Beitragssatz von 15,1 Prozent (14 Prozent + 1,1 Prozent Zusatzbeitrag) 299,57 Euro beträgt. Die Klägerin hat den Einkommenssteuerbescheid 2015 vom 9. Dezember 2016 am 14. Dezember 2016 bei der Beklagten eingereicht. Dieser weist mit einem Jahreseinkommen von 23.807 Euro einen niedrigeren Wert aus, so dass die Berücksichtigung ab Januar 2017 zu erfolgen hatte.

Das von der Klägerin bezogene Blindengeld war nicht bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen.

Die Regelungen der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler bieten zwar grundsätzlich eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzung gegenüber freiwillig Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 19.12.2012, B 12 KR 20/11 R) und verstoßen auch nicht gegen Verfassungsrecht (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2016 L – 11 KR 888/15 – […] Rn. 28). Dies umfasst jedoch nicht zwingend alle Regelungen. So liegt der Fall bei § 4 Abs. 4 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler.

Nach § 4 Nr. 4 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind Leistungen zum Ausgleich der durch Blindheit bedingten Mehraufwendungen und Benachteiligungen nach den landesrechtlichen Vorschriften (Blindengeld), soweit diese Leistungen nicht auf die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII angerechnet werden, den beitragspflichtigen Einnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 zuzurechnen.

Diese Regelung ist mit § 240 SGB V, wonach bei der Beitragsbelastung ausschließlich die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beitragszahlers zu berücksichtigen ist, nicht vereinbar und daher nichtig.

Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung Leistungen nicht zur „wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ gezählt und damit von der Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen, die im Hinblick auf ihre besondere Zweckbestimmung den Einnahmen zum Lebensunterhalt nicht zugeordnet werden können (vgl. BSG 21.12.2011, B 12 KR 22/09 R, BSGE 110, 62). Dies zielt zum einen auf (Sozial-)Leistungen, die der Kompensation eines bestehenden besonderen persönlichen Bedarfs dienen oder als „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ nicht für den „allgemeinen“ Lebensbedarf des Betroffenen bestimmt sind, sondern dem Betroffenen ungekürzt erhalten bleiben sollen (z.B. BSG 23.11.1992, 12 RK 29/92, BSGE 71, 237). Zum anderen sind Geldleistungen des sozialen Entschädigungsrechts, die in Ansehung eines in der Verantwortung der staatlichen Gemeinschaft erlittenen Sonderopfers gewährt werden und in nahezu der gesamten Rechtsordnung nicht als Einkommen gelten, von der Beitragsbemessung ausgenommen (BSG 03.07.2013, B 12 KR 27/12 R, BSGE 114, 83).

Das Blindengeld fällt unter die erste Fallgruppe, da es nicht dem allgemeinen Lebensbedarf sondern der Kompensation eines besonderen persönlichen Bedarfes dient. Nach § 1 Abs. 1 Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz wird Blindengeld zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen gewährt. Solche Mehraufwendungen können z.B. für sprechende Haushaltsgeräte, blindengerechte Computer, Lesehilfen, Brailleschrift-Kurse, Bücher in Brailleschrift, Blindenstöcke, Haushaltshilfen oder Assistenzleistungen anfallen. Blinde, die wie die Klägerin bereits vor April 2003 Blindengeld bezogen haben, erhalten in RheinlandPfalz 529,50 Euro als Blindengeld (§ 2 Abs. 1 S. 2 Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz). Nach § 4 Abs. 1 Landesblindengeldgesetz Rheinland-Pfalz werden gleichartige Leistungen angerechnet.

Dies zielt insbesondere auf die ebenfalls zum Ausgleich behinderungsbedingter Mehraufwendungen dienenden bundesgesetzlichen Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. Mit dieser Leistung unterstützt das Gesetz die Möglichkeit für Blinde, sich trotz Blindheit mit der Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen, und die Mobilität zu fördern (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2016 – L 11 KR 888/15 – […] Rn. 30). Die Blindenhilfe dient nicht der Deckung des gewöhnlichen Lebensbedarfs (BVerwG 04.11.1976, V C 7.76, BVerwGE 51, 281; VGH Baden-Württemberg 06.04.2000, 7 S 1967/98, […]; BSG 05.12.2001, B 7/1 SF 1/00 R, SozR 3-5922 § 1 Nr 1). Den gleichen Zweck erfüllt das Landesblindengeld. Eine solche vom Gesetzgeber selbst zweckbestimmte Leistung kann ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn ihr Empfänger sie bestimmungsgemäß verwenden darf und sie nicht zur Deckung anderer Lebenshaltungskosten heranziehen muss (vgl. BSG 25.11.1981, 5a/5 RKn 18/79). Die erkennende Kammer steht mit diesem Rechtsverständnis im Einklang mit Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und der aktuellen Rechtsprechung der Landessozialgerichte Bayern (Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Februar 2017 – L 5 KR 313/15 -), Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2016 – L 11 KR 888/15 -, Rn. 30, […]) und Sachsen (Sächsisches LSG Urteil vom 6. Dezember 2012 – L 1 KR 172/11 – […]) (ebenso: Peters in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 227 SGB V, Rn. 26). Ob die ungleiche Behandlung von Blindengeld und Blindenhilfe in § 4 Nr. 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (so Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Februar 2017 -L 5 KR 313/15-) oder , § 4 Nr. 4 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler steht (so LSG Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 2016 – L 11 KR 888/15) kann die erkennende Kammer vor dem Hintergrund des gefundenen Auslegungsergebnisses offen lassen. Hierauf kommt es nicht an.

Der Bescheid vom 17. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 war daher wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2017 ist rechtswidrig, verletzt die Klägerin in ihren Rechten und war daher vollständig aufzuheben.

Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 20. Januar 2017 ist nicht § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Vorliegend ändert der Bescheid vom 20. Januar 2017 den Bescheid vom 17. Januar 2017.

Bei diesem Beitragsbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da er die Beiträge für die Zukunft zeitlich unbefristet festsetzt. Obwohl der Monat Januar 2017 bereits begonnen wurde, handelt es sich um eine Änderung mit Wirkung für die Zukunft, da die Beiträge für den Januar 2017 erst am 15. Februar 2017 fällig waren. Eine Änderung der Beiträge war nicht möglich, da es keinerlei Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen der Klägerin gab. Der Beklagten lagen auch alle Informationen vor.

Der Bescheid kann sich auch nicht auf § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X stützen. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Aus dem Merkmal „Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind“ ergibt sich, dass die Anwendung dieser Norm zu einer Beitragsreduktion führen müsste. Vorliegend bleib die Beitragshöhe für den Januar 2017 gleich hoch und stieg ab Februar 2017. Es handelt sich auch nicht um eine Rücknahme für die Vergangenheit.

Rechtsgrundlage für den Bescheid kann ausschließlich § 44 Abs. 2 SGB X sein.

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend im Widerspruchsbescheid erkannt, dass die Klägerin vor Erlass des Bescheides nach § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören gewesen wäre, da der Bescheid insoweit in die Rechte der Klägerin eingreift, als ab Februar 2017 der Krankenversicherungsbeitrag im Vergleich zur Bescheidlage vom 17. Januar 2017 hochgesetzt wurde. Eine Heilung i.S.d. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X ist auch hier durch den Widerspruch, der sich mit allen wesentlichen Aspekten auseinandersetzte, eingetreten. Der Bescheid ist materiell rechtswidrig und kann daher keinen Bestand haben. Nach § 44 Abs. 2 SGB X ist im Übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen.

Für den Monat Januar 2017 fehlt es schon an einem Rücknahmeanlass, da insoweit lediglich die Regelung aus dem Bescheid vom 17. Januar 2017 bestätigt wird. Die Beitragshöhe ab dem Monat Februar 2017 ist zu Lasten der Klägerin unzutreffend nach oben korrigiert worden. Ein Regelungsanlass gab es dafür nicht. Der Bescheid vom 20. Januar 2017 konnte daher keinen Bestand haben und war insgesamt aufzuheben.

Die Klage hatte Erfolg. Die Kammer hatte gemäß § 131 Abs. 1 S. 1 SGG eine Regelung zur Rückabwicklung bereits gezahlter Beiträge zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Es ist der erkennenden Kammer unverständlich, warum die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 28. März 2017 bei der Kostenregelung gemäß § 63 SGB X nicht berücksichtigt hat, dass auch nach ihrem eigenen Verständnis durch Bescheid vom 17. Januar 2017 eine Teilabhilfe erfolgt ist. Ihre Kostenentscheidung war schon nach eigener Konzeption evident falsch. Sie ist auch insoweit zu korrigieren als die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.
Rechtsgebiete
SGB, GG
Vorschriften
§ 240 Abs. 1 S. 1 SGB V; § 24 Abs. 1 SGB X; § 24 Abs. 2 SGB X; § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X; § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X; § 57 Abs. 4 SGB XI; § 72 SGB XII; Art. 3 Abs. 1 GG

ErbStG: Freibetrag für Kinder bei der Pflege ihrer Eltern

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 43/17,  Pressemitteilung vom 05.07.2017, Urteil vom 10.05.2017, Aktenzeichen II R 37/15

Hat ein Kind einen pflegebedürftigen Elternteil zu Lebzeiten gepflegt, ist es berechtigt, nach dem Ableben des Eltern­teils bei der Erbschaftsteuer den sog. Pflege­freibetrag in Anspruch zu nehmen. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 10. Mai 2017 II R 37/15 entgegen der Verwaltungsauffassung entschieden hat, steht dem die allgemeine Unterhaltspflicht zwischen Personen, die in gerader Linie miteinander verwandt sind, nicht entgegen.

Im Streitfall war die Klägerin Miterbin ihrer Mutter. Diese war ca. zehn Jahre vor ihrem Tod pflegebedürftig geworden (Pflegestufe III, monatliches Pflegegeld von bis zu 700 €). Die Klägerin hatte ihre Mutter auf eigene Kosten gepflegt. Das Finanzamt (FA) gewährte den Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) in Höhe von 20.000 € nicht. Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage statt.

Der BFH bestätigte die Vorentscheidung des FG. Der Begriff „Pflege“ ist grundsätzlich weit auszulegen und erfasst die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden einer hilfsbedürftigen Person. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser pflege­bedürftig i.S. des § 14 Abs. 1 des Elften Buchs Sozial­ge­setz­buch (SGB XI a.F.) und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. zugeordnet war.

Eine gesetzliche Unterhaltspflicht steht der Gewährung des Pflegefreibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht entgegen. Dies folgt aus Wortlaut, Sinn und Zweck sowie der Historie der Vorschrift. Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG schließt gesetzlich Unterhaltsverpflichtete nicht von der Anwendung der Vorschrift aus. Weder aus der gesetzlichen Unterhaltspflicht nach §§ 1601 ff., § 1589 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) noch aus der Verpflichtung zu Beistand und Rücksicht zwischen Kindern und Eltern nach § 1618a BGB folgt eine generelle gesetzliche Verpflichtung zur persönlichen Pflege. Damit entspricht die Gewährung des Pflegefreibetrags auch für gesetzlich Unterhaltsverpflichtete dem Sinn und Zweck der Vorschrift, ein freiwilliges Opfer der pflegenden Person zu ho­no­rieren. Zudem wird der generellen Intention des Gesetz­gebers Rechnung getragen, die steuerliche Berücksichtigung von Pflegeleistungen zu verbessern. Da Pflegeleistungen übli­cherweise innerhalb der Familie, insbesondere zwischen Kindern und Eltern erbracht werden, liefe die Freibetragsregelung bei Ausschluss dieses Personenkreises nahezu leer.

Die Höhe des Freibetrags bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Vergütungssätze von entsprechenden Berufs­trägern können als Vergleichsgröße herangezogen werden. Bei Erbringung langjähriger, intensiver und umfassender Pflege­leistungen -wie im Streitfall- kann der Freibetrag auch ohne Einzelnachweis zu gewähren sein.

Der Entscheidung des BFH kommt im Erbfall wie auch bei Schenkungen große Praxisrelevanz zu. Die Finanzverwaltung hat bislang den Freibetrag nicht gewährt, wenn der Erbe dem Erblasser gegenüber gesetzlich zur Pflege oder zum Unterhalt verpflichtet war (Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 R E 13.5 Abs. 1 Satz 2). Auf dieser Grundlage hatte das FA die Gewährung des Freibetrags auch im Streitfall verwehrt. Dem ist der BFH entgegengetreten. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass der Erbe den Pflegefreibetrag nach dem Urteil des BFH auch dann in Anspruch nehmen kann, wenn der Erblasser zwar pflegebedürftig, aber z.B. aufgrund eigenen Vermögens im Einzelfall nicht unterhaltsberechtigt war.

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Betrugsschaden als Werbungskosten

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 42/17 , Pressemitteilung vom 28.06.2017, Urteil vom 09.05.2017, Aktenzeichen IX R 24/16

Wer einem betrügerischen Grund­stücks­makler Bargeld in der Annahme übergibt, der Makler werde damit den Kaufpreis für ein bebautes Grundstück bezahlen, kann den Verlust bei den Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung abziehen. Dies setzt nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Mai 2017 IX R 24/16 allerdings voraus, dass er bei Hingabe des Geldes zum Erwerb und zur Vermietung des Grundstücks entschlossen war.

Steuerrechtlich sind die anteilig auf ein zur Fremdvermietung bestimmtes Gebäude entfallenden Anschaffungs- oder Herstellungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten abziehbar. Sie können im Regelfall aber nicht sofort, sondern nur zeitanteilig in Form der Absetzungen für Abnutzung geltend gemacht werden. Anders ist dies, wenn die Gegenleistung nicht erbracht wird, wenn es also entweder nicht zur Herstellung des Gebäudes oder nicht zur Anschaffung kommt. In diesem Fall sind die vergeblich aufgewandten Beträge sofort in voller Höhe als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar. Das gilt nicht nur, wenn für die Hingabe des Geldes (wie üblich) eine vertragliche Verpflichtung bestand, sondern auch, wenn es hieran fehlt.

Im Streitfall beabsichtigte der Kläger den Erwerb eines Villengrundstücks. Die Villa wollte er teilweise vermieten. Eigentümer war eine Stiftung nach Liechtensteinischem Recht. Der Kläger vertraute dem Makler X den Kaufpreis in bar an, nachdem dieser ihm versichert hatte, das Geschäft bei Barzahlung in der Schweiz zum Abschluss zu bringen. Tatsächlich verwendete der Makler das Geld jedoch für sich.

Das Finanzamt und das Finanzgericht (FG) erkannten die geltend gemachten Werbungskosten des Klägers nicht an. Die von ihm an den Makler ohne rechtliche Grundlage geleisteten Zahlungen führten nicht zu Werbungskosten. Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und dem Kläger im Grundsatz Recht gegeben. Die einzige Voraussetzung für die Anerkennung vorab entstandener (vergeblicher) Aufwendungen ist die Erwerbs- und Vermietungsabsicht. Daran bestanden keine Zweifel, denn der Kläger hatte das Grundstück später erworben und tatsächlich vermietet.

Der BFH hat die Sache gleichwohl an das FG zurückverwiesen. Das FG muss noch prüfen, in welchem Zeitpunkt der Kläger davon ausgehen musste und durfte, dass er sein Geld von X nicht mehr zurückbekommen würde. Hierauf kommt es für die Abziehbarkeit als Werbungskosten entscheidend an.

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Buchwertfortführung bei Ausscheiden aus Personengesellschaft gegen Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern

Quelle: BFH-Pressemitteilung Nr. 40/17, Pressemitteilung vom 21.06.2017, Urteil vom 30.03.2017, Aktenzeichen IV R 11/15 , Urteil vom 16.03.2017, Aktenzeichen IV R 31/14

Gesellschafter können künftig weiter­ge­hend als bisher aus ihren Per­so­nen­ge­sell­schaften gewinnneutral und damit ohne Aufdeckung stiller Reserven ausscheiden. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 30. März 2017 IV R 11/15 ent­schie­den hat, liegt eine sog. gewinnneutrale Realteilung in allen Fällen der Sachwertabfindung eines ausscheidenden Gesellschafters vor, wenn er die erhaltenen Wirtschaftsgüter weiter als Betriebsvermögen verwendet. So wird eine Buchwertfortführung auch dann ermöglicht, wenn der ausscheidende Gesellschafter lediglich Einzelwirtschaftsgüter ohne sog. Teilbetriebseigenschaft erhält. Damit wendet sich der BFH ausdrücklich gegen die Auffassung der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. Dezember 2016 IV C 6 S 2242/07/10002:004, BStBl I 2017, 36), die eine Gewinnneutralität nur dann gewähren will, wenn der ausscheidende Gesellschafter einen Teilbetrieb oder einen Mitunternehmeranteil erhält.

Der Auflösung der Gesellschaft mit anschließender Verteilung der Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens unter den Gesellschaftern wird damit das Ausscheiden eines Gesell­schaf­ters aus einer fortbestehenden Gesellschaft gleich­ge­stellt. Den ersten Fall bezeichnet der BFH als „echte Realteilung“, beim Ausscheiden aus der fortbestehenden Gesellschaft gegen Abfindung mit Gesellschaftsvermögen handelt es sich um eine „unechte Realteilung“.

Im Fall des Urteils vom 30. März 2017 hatte ein Gesellschafter seinen Anteil an einer KG zunächst in eine neu gegründete Ein-Mann-GmbH & Co. KG eingebracht, die dann sogleich unter demselben Datum aus der KG ausschied. Zur Abfindung erhielt die ausscheidende neue Gesellschaft alle Wirtschaftsgüter eines nicht als Teilbetrieb organisierten Geschäftsbereichs der KG, den sie anschließend fortführte. Der BFH hielt diesen Vorgang für eine gewinnneutrale unechte Realteilung und bestätigte damit im Ergebnis das erstinstanzliche Urteil des Finanzgerichts (FG). Die Finanzverwaltung, die im entschiedenen Fall unter Einbeziehung einer kurz zuvor vorgenommenen Übertragung vom Gesellschafter auf die Gesellschaft ein gewinn­reali­sie­rendes Tauschgeschäft angenommen hatte, ist bislang mit der Anwendung von Realteilungsgrundsätzen auf Fälle des Aus­scheidens gegen Abfindung mit einzelnen Wirtschaftsgütern nicht einverstanden. Negative Auswirkungen kann die Hand­habung der Finanzverwaltung insbesondere dann haben, wenn der ausscheidende Gesellschafter mit den erhaltenen Wirt­schafts­gütern verbundene Schulden oder sonstige Ver­pflich­tun­gen übernimmt.

Das Urteil vom 16. März 2017 IV R 31/14 betraf einen Fall, in dem eine von Vater und Sohn betriebene GmbH & Co. KG auf­gelöst worden war. Von den Wirtschaftsgütern des Ge­sell­schaftsvermögens erhielt der Vater nur einen geringen Teil, während der Sohn mit dem wesentlichen Teil des ehemaligen Gesellschaftsvermögens weiter alleine betrieblich tätig blieb. Das Finanzamt hatte eine gewinnneutrale Realteilung ab­ge­lehnt, weil die betriebliche Tätigkeit fortgesetzt worden sei. Der BFH stützte sich demgegenüber ebenso wie zuvor das FG darauf, dass die Tätigkeit der Gesellschaft infolge ihrer Auf­lösung und Vollbeendigung eingestellt worden sei. Es habe deshalb eine echte gewinnneutrale Realteilung stattgefunden.

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